Ruth engagiert sich auf vielen Ebenen für den Schüleraustausch
Ruth Schweigmann ist seit vielen Jahren ehrenamtlich für YFU im Einsatz. Nicht nur in der Programmarbeit selbst, sondern auch über den Verein hinaus hat sie viel bewegt - vor allem im Gespräch mit der Politik. Im Interview berichtet sie über ihre Projekte und ihre Motivation.
Seit wann engagierst du dich für YFU?
Auslöser war das Austauschjahr unserer ältesten Tochter in den USA 2012/13. Noch während unsere Tochter im Austausch war, besuchte uns ihr amerikanischer Gastvater für eine Woche und wir haben ihn an unserem normalen Leben teilhaben lassen: also mit Brötchen morgens, gemeinsam Fahrrad fahren und ohne Social Media. Das war ein bisschen wie umgekehrter Austausch. Besonders die Brotvielfalt hat unseren Gast nachhaltig beeindruckt und ich habe gemerkt: Was wir als „normal“ empfinden, ist eben nicht für jeden normal.
Für alle unsere Kinder war der Austausch extrem bereichernd und eine Riesenchance, Dinge zu lernen und wahrzunehmen. Mit YFU lernen die Jugendlichen, viel Verantwortung zu übernehmen und bekommen einen großen Handlungsspielraum. Auch nach dem Austausch bietet das Ehrenamt bei YFU eine große Aufgabenvielfalt. Hier wird jedes Talent gebraucht, kann sich jeder weiterentwickeln.
In welchen Bereichen engagierst du dich und warum?
Ich bin in einer ehrenamtlich engagierten Familie aufgewachsen und hatte Zeit und Lust, mich einzubringen. Da ich selbst keine Austauschschülerin gewesen bin, war es gar nicht so einfach, reinzukommen. Da war niemand, der mir die Strukturen erklärt hat. Also habe ich E-Mails geschrieben, dass ich mich gern engagieren möchte.
2013 habe ich dann zum ersten Mal am Berufstätigen-Betreuer*innenseminar und als Teamerin an - damals noch - Auswahlinterviews teilgenommen. Außerdem habe ich an 20 Schulen in meiner Umgebung Schulvorträge gehalten. Denn mir war wichtig, dass auch Andere von der Möglichkeit eines Austauschjahres erfahren.
Dann wurden im YFU-Newsletter Menschen für die Organisation von Orientierungs- und Sprachkursen (OSK) gesucht und ich habe direkt einen Doppel-OSK in meiner Heimatstadt organisiert und Gastschüler aufgenommen. Zusätzlich habe ich bald die Elterntreffen mit in die Hand genommen. Denn es ist natürlich einfacher, die Eltern und Gasteltern „abzuholen“, wenn man als Familie selbst die Erfahrung gemacht hat, als für jüngere Ehrenamtliche.
Natürlich ist es mitunter auch anstrengend, Gastfamilie zu sein oder sich für Austausch zu engagieren, allerdings ist die Positivliste der Dinge, die man zurückbekommt, glücklicherweise sehr viel länger.
Was hast du dabei schon alles gelernt und zurückbekommen?
Die wichtigste Lernerfahrung war es zu merken, dass „dein Normal“ nicht das Normal für jemand anderen ist, sondern dass beides in Ordnung ist. Und letztendlich will jeder Mensch und auch jede*r Austauschschüler*in einfach nur geliebt und wertgeschätzt werden. Gastfamilie und Gastkind sollten gemeinsam Strategien entwickeln, mit denen es allen gut geht. Wenn ich Familien betreue, frage ich immer: „Wie geht es euch? Was ist gerade los bei euch?“ Wiederkehrende Themen der Gastfamilien sind beispielsweise Pünktlichkeit und Energiesparen. Hier versuche ich zu vermitteln. Meiner Meinung nach gibt es zu viele Gastfamilienwechsel. Sowohl Jugendliche als auch Gastfamilien tun sich schwer damit, schwierige Momente eines Austauschjahres auch mal auszuhalten, um gestärkt daraus hervorzugehen. Problematisch wird es, wenn Stereotype als Fakten wahrgenommen werden.
Warum hattest du Lust, dich auch im Bereich Lobbyarbeit in Niedersachsen zu engagieren?
Ich habe mich gefragt, wie ich die Arbeit von YFU bekannter machen kann und habe zu lokalen YFU-Veranstaltungen zum Beispiel den Bürgermeister, den Pastor und den Wahlkreisabgeordneten eingeladen. Der Bundestagsabgeordnete Albert Stegemann von der CDU ist dann auch regelmäßig vorbeigekommen und hat gefragt, wie er uns unterstützen kann.
Mir ist klar geworden, dass ein Politiker gar nicht die Einblicke haben kann, wie ich mit meinem Erfahrungsschatz. Also habe ich u.a. die Hürden für die Teilnahme an Austauschprogrammen aus Sicht von Realschüler*innen und Gastfamilien geschildert. Diese betreffen zum Beispiel benachteiligende Voraussetzungen für Schülerauslands-BaföG oder fehlende finanzielle Entlastungen für ehrenamtliche Gastfamilien.
Nach dieser positiven Erfahrung habe ich mit weiteren Abgeordneten gesprochen. Der Bundestagsabgeordnete Jens Beeck von der FDP beispielsweise hat im Anschluss gemeinsam mit anderen Parlamentariern eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der er die bundesweite Förderung von internationalen Austauschen gefordert hat.
Aber auch auf Landesebene lassen sich Dinge bewegen: Zuletzt hatte ich ein tolles Gespräch mit dem Landtagsabgeordneten Pascal Mennen von den Grünen, dem ich davon berichtet habe, wie das Bundesland Hamburg den individuellen langfristigen Jugendaustausch finanziell fördert und dadurch mehr Jugendliche ins Ausland gehen können. Sowohl YFU als auch die Politik profitieren von einem solchen thematischen Austausch!
Worin siehst du die Bedeutung in dem, was YFU tut?
Die Erfahrung, im Austausch selbst für ein Jahr Ausländer*in und den entsprechenden Herausforderungen ausgesetzt gewesen zu sein, gibt den Jugendlichen einen ganzen Rucksack an Werkzeugen für ihr Leben mit. Und als Gastfamilie gibt es keinen größeren Beitrag zum Weltfrieden, als eine*n Austauschschüler*in aufzunehmen und so nah in sein Leben zu lassen. Gastfamilie zu sein ist somit immer auch politisch.