YFU-Blog
Aktuelles aus Verein und Austauschwelt
Mit der Initiative Schule:Global - Gemeinsam für mehr Vielfalt möchten der Arbeitskreis gemeinnütziger Jugendaustausch (AJA) und seine Mitgliedsorganisationen interkulturelle Bildung und Internationalisierung an Schulen fördern. Schulen in ganz Deutschland, die im Bereich Austausch, interkulturelle Kompetenz und Diversität aktiv sind oder es werden wollen, können das Schule:Global-Siegel beantragen und damit Unterstützung durch einen persönlichen Coach und ein starkes Netzwerk erhalten. Aktuell sind bereits rund 20 Schulen mit dem Siegel ausgezeichnet worden: Darunter auch die Heinrich-Hertz-Schule (HHS) in Hamburg.
Thorsten Reiter ist Lehrer an der HHS und als Koordinator für internationale Kontakte Ansprechpartner für Irene Kern, die die Schule als Coach von Schule:Global unterstützt. YFU hat mit den beiden über die Bedeutung von Vielfalt und interkulturellem Lernen gesprochen.
Herr Reiter, im letzten Jahr wurde der Heinrich-Hertz-Schule das Schule:Global-Siegel verliehen. Was war die Motivation, sich an der Initiative zu beteiligen?
TR: Die Motivation war hauptsächlich, sich mit anderen Schulen zu vernetzen und Kontakt zu einer Organisation zu knüpfen, die uns auf dem Weg der Schulentwicklung unterstützend zur Seite steht. Ein Aspekt war aber auch, dass wir mit dem Schule:Global-Siegel zeigen können, was wir machen und was unsere Themenschwerpunkte als Schule sind – und dabei spielt der Bereich Internationales und Vielfalt eine große Rolle.
Schule:Global möchte internationalen Austausch stärken, aber auch Vielfalt und Interkulturalität direkt in den Schulen fördern. Warum braucht es diesen doppelten Ansatz?
TR: Als ich die Stelle als Koordinator für internationale Kontakte hier an der HHS nach mehreren Jahren im Auslandsschuldienst angetreten habe, gab es zwei Schwerpunkte: Das war zum einen, internationale Kontakte neu zu beleben. Zum anderen aber auch, das Thema Interkulturalität an der Schule selbst sichtbarer zu machen – ein Thema, das mir schon lange am Herzen liegt. An der HHS möchten wir zukünftig noch offensiver und auch gestalterischer mit dem Aspekt Vielfalt umgehen. Dabei geht es auch viel um die praktische Umsetzung: Was bedeutet Vielfalt für den Schulalltag? Für den Unterricht, für Projekte und Elternarbeit?
IK: Für mich ist es auch wichtig, Interesse zu wecken und die Schüler*innen im Kleinen feststellen zu lassen, dass Vielfalt bereichernd ist. Wenn ich erlebe, wie interessant es ist, mich mit Menschen zu vernetzen, die anders sind als ich – entweder offensichtlich oder auch auf den zweiten Blick durch Einstellungen –, wenn ich mich darauf einlasse und erkenne, dass das Spaß machen kann, dann kann das ein erster Schritt sein, der motiviert, in diese Richtung weiterzugehen und zum Beispiel am nächsten Schulaustausch teilzunehmen oder ein eigenes Austauschjahr zu machen. Ich glaube, dass es da ganz viele spannende Synergien gibt, die wir noch stärker nutzen können.
TR: Für mich bedeutet die Anerkennung von Vielfalt auch, dass wir wegkommen von der Idee, dass wir einen Austausch zwischen einer deutschen, homogenen Schülergruppe machen und einer zum Beispiel englischen oder französischen. Wir haben es immer mit einer Vielzahl von unterschiedlichen kulturellen Zugehörigkeiten und Sprachen zu tun und die Gleichsetzung eines Landes mit einer Sprache entspricht nicht mehr der Realität der Gegenwart – und auch nicht der Zukunft. Dabei ist es mir gleichzeitig wichtig, dass wir Vielfalt verstärkt auch als etwas Positives begreifen, das viele Chancen birgt. Früher war dieser Aspekt gerade im Schulbereich oft bezogen auf bestimmte Stadtviertel, bestimmte Schulen. Es geht also auch viel um die Wahrnehmung und Wertschätzung von Interkulturalität und Vielfalt.
Schule:Global möchte Schulen unterstützen, die selbstgesteckten Ziele zum Thema interkulturelles Lernen zu erreichen. Wie kann man sich die Zusammenarbeit zwischen Coach und Schule konkret vorstellen?
IK: Hier an der HHS nehme ich – sofern es die Pandemie erlaubt – an den Treffen der AG Internationales teil. Bei diesen Treffen sehe ich meine Aufgabe vor allem darin, Fragen zu stellen und so den Blick für bestimmte Aspekte zu schärfen. Heute hatten wir zum Beispiel ein erstes Meeting zu einem geplanten Schulfest, das unter dem Thema Vielfalt im Herbst stattfinden soll. Dabei ging es dann auch erst einmal viel um Projektplanung. Und das sind Kenntnisse, die auch übertragbar sind und auch nutzen, wenn beispielsweise ein Austausch organisiert wird. Ein weiterer wichtiger Teil meiner Arbeit ist zudem die Vernetzung, zum Beispiel zu Colored Glasses (Toleranzworkshops von YFU) oder den Kulturtauchen-Workshops (Präventionsworkshops von AJA), von denen wir bald einige anbieten werden. Und dann bin ich natürlich auch Ansprechpartnerin, wenn es um das Schule:Global-Netzwerk geht.
TR: Wir haben hier an der HHS ein sehr kompetentes Kollegium an Leuten, die sich auch im Bereich Interkulturelles sehr gut auskennen. Unter anderem auch durch die mit Schule:Global angestoßenen Projekte konnten wir diese Menschen nun noch besser und auch fächerübergreifend miteinander vernetzen. Irene ist dabei eine große Hilfe, wenn sie mit dem Blick von außen Anregungen gibt, Fragen stellt und Tipps parat hat.
In Deutschland nehmen laut der Zugangsstudie von 2018 nur vergleichsweise wenig Schüler*innen an Austauschprogrammen teil. Was könnten die Gründe dafür sein – und was müsste eurer Meinung nach passieren, um das zu ändern?
IK: Ich glaube, dass viele Jugendliche in der Schulzeit einen gefühlten Zeitmangel erleben und das Gefühl haben, da möglichst schnell durchkommen zu müssen. Für mich ist es deshalb wichtig, beim Thema Austausch unter der Überschrift „Erfahrungslernen“ anzusetzen und mit kleinen, niedrigschwelligen Angeboten zu beginnen, über die Begegnungen stattfinden. Und wenn wir es hinbekommen, dass genau dieser Austausch als gewinnbringend empfunden wird, dann entsteht daraus im Idealfall der Wunsch nach mehr. Meiner Meinung nach wäre es zudem sicher hilfreich, wenn ein Austausch auch seitens der Schule als besondere Leistung anerkannt und es den Schüler*innen leichter gemacht wird, wenn es zum Beispiel um die Anerkennung von Schulleistungen geht.
TR: Das ist eine wichtige Frage, wie man einen Austausch in das Curriculum integriert. Ich habe den Eindruck, dass es da auf Programmseite vor allem die Wahl gibt zwischen einem ganz langen Auslandsaufenthalt oder aber der Teilnahme an einer klassischen Klassenfahrt oder Schulaustausch. Diese Kluft ist meiner Meinung nach zu groß. Da sollte man noch kreativer nach Zwischenlösungen suchen und entsprechende Angebote schaffen – zum Beispiel durch eine verkürzte Zeitdauer des Aufenthalts oder über eine bessere Vernetzung der Schulen selbst. Denn das Interesse an Austauschprogrammen ist sehr groß, das merken wir auch in Gesprächen mit den Eltern.
IK: Ich kann mir auch vorstellen, dass es ein interessanter Ansatz wäre, sich als Schule gezielt mit einer Austauschorganisation zusammenzusetzen und gemeinsam zu überlegen, wie man möglichst viele Schüler*innen für ein Austauschjahr motivieren und vielleicht auch eine Finanzierung für die Jugendlichen organisieren könnte, die sich die Teilnahme sonst nicht leisten können. Denn natürlich ist auch das Finanzielle ein Aspekt, der viele Schüler*innen daran hindert, an Austauschprogrammen teilzunehmen.
Wenn ihr in die Zukunft blickt: Was wünscht ihr euch, dass die HHS innerhalb der dreijährigen Laufzeit von Schule:Global erreicht hat?
TR: Wir haben in unserem Antrag für Schule:Global drei Ziele formuliert: Erstens, internationale Austausche wieder stärker anzubieten, zweitens die Teilnahme an einem Diversity-Training für unser Kollegium und drittens schließlich ein großes Schulfest zum Thema Vielfalt, um noch einmal die gesamte Schulgemeinschaft zusammenzubringen. Und ich glaube, wenn wir diese drei Ziele erreicht haben, sind wir schon einen Riesenschritt weiter. Das Schulfest im Herbst ist also ein Projektabschluss, aber gleichzeitig auch ein Startschuss für etwas Neues: Was können wir aus dem Gelernten für Schlüsse ziehen für unsere Weiterarbeit im Bereich Schulleben, Pausengestaltung oder – ganz wichtig – Elternarbeit? Mir persönlich liegt es außerdem am Herzen, noch stärker mit den anderen Schulen des Schule:Global-Netzwerks in den Austausch zu treten – auch und gerade innerhalb Hamburgs, wo man sicherlich viele spannende Anknüpfungspunkte entwickeln könnte.
IK: Für mich ist es auch ein ganz großes Anliegen, den Aspekt von Vielfalt ins Alltagsbewusstsein zu holen: „Wir sind vielfältig!“ – das soll nicht etwas Intellektuelles bleiben, sondern im Alltag sichtbar und spürbar sein. Das bedeutet für mich auch, dass Schule auf jeden Fall ein sicherer Ort sein kann für alle, die am Schulleben teilnehmen. Dafür ist es grundlegend, dass mit dem Thema Vielfalt gut umgegangen wird – auch mit den Aspekten, die vielleicht etwas schwieriger sind. Da liegt auch eine große Verantwortung bei den Lehrkräften und Schule:Global bietet für mich eine tolle Möglichkeit, sich dazu auszutauschen und als Netzwerk Schulen zu stärken. Deshalb ist es auch eines meiner Ziele, möglichst viele Schulen im Netzwerk miteinander in Kontakt zu bringen, damit diese gemeinsam eine Strahlkraft entwickeln, die dann wieder andere Schulen anzieht und auf das Thema aufmerksam macht. Das ist sicherlich ein großgestecktes Ziel, aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir da in den nächsten drei Jahren viel erreichen können.
Schule:Global ist eine Initiative des AJA Arbeitskreis gemeinnütziger Jugendaustausch, finanziert von der Robert Bosch Stiftung. Mehr Informationen zu der Initiative gibt es hier: www.schule-global.de