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„Mein Austauschjahr hat mein ganzes Leben geprägt!"

24. September 2025

1985 ging Heidrun mit YFU für ein Austauschjahr in die USA – ein Jahr, das ihr Leben nachhaltig verändert hat. Jetzt, 40 Jahre später, hat sie ihre Gastfamilie (mal wieder) in Ohio besucht und in Erinnerungen geschwelgt. Wir haben kurz nach ihrer Rückkehr Anfang September mit ihr darüber gesprochen, wie prägend ihr Austauschjahr für ihre persönliche Entwicklung war und wie es ihr Leben bis heute begleitet.

 

Liebe Heidrun, warum hast du dich 1985 für ein YFU-Austauschjahr in den USA entschieden?

 

Das lag vor allem an meinem Englischlehrer: Er hatte eine Mitschülerin eingeladen, die gerade aus ihrem Austauschjahr mit YFU zurückgekehrt war. Ich war zwar begeistert, dachte aber sofort: Für mich kommt das nicht infrage. Meine Familie hatte schlichtweg nicht die finanziellen Möglichkeiten – und eine Reise in die USA fühlte sich für mich ungefähr so weit weg an wie zum Mond. Aber mein Lehrer hat uns ermutigt, hat von den YFU-Stipendien erzählt und meinte, wir sollten uns einfach mal bewerben. Meine Mutter war der gleichen Meinung, und so habe ich mich tatsächlich beworben – allerdings ohne große Hoffnung.

 

Als dann die Zusage von YFU kam, konnte ich es kaum fassen! Dank des YFU-Stipendiums mussten meine Eltern nur 2.000 Mark zahlen – eine Summe, die sie gerade noch aufbringen konnten. Allerdings gab es auch eine Bedingung: Ich musste während meines Austauschjahres die Möglichkeit haben, jede Woche in die Kirche zu gehen. Das schrieb ich so in meine Unterlagen für YFU USA – und genau das überzeugte am Ende meine Gastfamilie, mich aufzunehmen. Mein Gastvater war Pastor und der Glaube für die ganze Familie sehr wichtig. Und wenige Wochen später saß ich mit meinen 16 Jahren zum allerersten Mal in meinem Leben in einem Flugzeug und machte mich auf den Weg in die USA.

 

Du bist von Hamburg aus in der Kleinstadt London in Ohio gelandet. Erinnerst du dich noch an deine ersten Eindrücke?

 

Ich erinnere mich vor allem an das Gefühl, dass ich mich mit meiner Gastfamilie vom ersten Moment an sehr gut verstanden habe. Ansonsten war natürlich alles sehr aufregend: Ich hatte bis dahin ja noch nichts von der Welt gesehen! Ich fand alles spannend: Von der Eismaschine im Kühlschrank über Erdnussbutter bis zu meiner High School mit ihren knapp 400 Schüler*innen.

 

Bevor die Schule losging, bin ich mit meinen Gasteltern und meiner ungefähr gleichaltrigen Gastschwester aber zunächst einmal für ein paar Tage nach Washington D.C. gefahren. Wir sind jeden Tag sehr früh aufgestanden und haben eine Tour durch gefühlt alle Smithsonian Museums gemacht: Es war meiner Gastfamilie sehr wichtig, mir so die US-amerikanische Geschichte näher zu bringen. Das war beeindruckend und ich habe alles dankbar aufgesogen – ein Gefühl, dass mich auch später begleitet hat, als die Schule und damit der Alltag anfing. Eigentlich ging es mir mein ganzes Austauschjahr so! Jeder Tag fühlte sich an wie ein besonderer Tag; und jeden Tag konnte ich gar nicht glauben, dass ich das alles wirklich erleben durfte.

 

Alle Menschen schienen offen und interessiert zu sein, ich wurde überall herzlich aufgenommen und eingeladen und schon allein die Begrüßung im Supermarkt war viel freundlicher, als ich es in Deutschland kannte. Highlights gab es natürlich trotzdem – eine Reise mit meiner Gastfamilie nach Disneyland zum Beispiel oder der Abschlussball zum Ende des Schuljahres. Ich weiß noch sehr genau, dass ich mich an dem Abend wie im Film gefühlt habe, so märchenhaft war das alles. Ich war insgesamt einfach nur begeistert und beeindruckt von der US-amerikanischen Mentalität – und wenn mir 1986 jemand angeboten hätte, zu bleiben und in den USA zu studieren, hätte ich das sofort gemacht.

 

Gab es für dich auch Herausforderungen?

 

Ja, die Aufmerksamkeit zum Beispiel, die ich als Austauschschülerin bekam, war zwar großartig, aber zwischendurch auch schwierig. Besonders prägend war, dass ich mich in meinem Austauschjahr zum ersten Mal wirklich mit der deutschen Geschichte auseinandersetzen musste. In der Schule wurde ich manchmal mit dem Hitlergruß begrüßt, was mich zu Anfang total verstört hat. Ich musste erst einmal begreifen, dass da auch ganz viel Nicht-Wissen mit im Spiel war: Im Ohio der 80er Jahre reichte das Wissen manchmal kaum über die County-Grenze hinaus. Da waren wir Jugendliche in Deutschland deutlich politisch interessierter und auch meinungsstärker. Für mich bedeutete das, mich im Ausland zum ersten Mal intensiv mit der NS-Zeit auseinanderzusetzen – eine Erfahrung, die mich bis heute prägt, auch in meiner Arbeit als Lehrerin.

 

Wie hat dein Austauschjahr darüber hinaus dein späteres Leben geprägt?

 

Mein Austauschjahr hat mein Leben komplett verändert und ganz viele Wurzeln entstehen lassen, die mich bis heute begleiten. Ich kam 1986 als anderer Mensch zurück: Meine Brille hatte ich gegen Kontaktlinsen eingetauscht; ich trug Make-up und war viel offener und selbstbewusster als vorher. Ich wollte Englisch- und Deutsch-Lehrerin werden, später vielleicht sogar in den USA.

 

Zunächst führte mein Weg jedoch in den Journalismus: Weil es in Hamburg keine Referendariatsstellen gab, habe ich über einen Nebenjob in der Gastronomie einen Praktikumsplatz beim Fernsehen bekommen – und habe danach über 20 Jahre als Fernsehjournalistin gearbeitet. Ohne die Offenheit und Kommunikationsfähigkeit, die ich in den USA gelernt hatte, wäre das nie möglich gewesen.

 

Ich war in Hamburg, Köln und München tätig und habe auch viele Reportagen in den USA gedreht – aber der Traum vom Lehrer-Beruf ist nie ganz verschwunden. Vor drei Jahren habe ich dann schließlich den Sprung gewagt und mein zweites Staatsexamen gemacht: Heute unterrichte ich Englisch und Deutsch an einem Münchner Gymnasium und empfinde es als unglaublich bereichernd! Mein Austauschjahr und meine Verbundenheit zu den USA begleiten mich auch hier: Mit meiner 12. Klasse mache ich gerade ein Projekt zur gesellschaftlichen Spaltung in den USA und bin tief beeindruckt, wie die Jugendlichen zu Themen wie Rassismus, Waffenbesitz oder auch dem US-Schulsystem arbeiten und sich damit auseinandersetzen. Zu sehen, wie sich mein Austauschjahr, dieses eine Jahr in meinem Leben, auf diese Weise vervielfältigt und sich immer wieder auf andere Leben auswirkt: Das bewegt mich jeden Tag aufs Neue.

 

Hast du heute noch Kontakt zu deiner Gastfamilie?

 

Ja, sehr engen Kontakt sogar! Meine Gastfamilie war sofort wie eine zweite Familie für mich und wir sehen uns regelmäßig: Zuletzt war ich im August für zwei Wochen dort – genau 40 Jahre nach meinem Austauschjahr. Es war wie immer eine wunderschöne Zeit und ein echter Familienbesuch mit Geben und Nehmen. Wenn ich da bin, ist es zum Beispiel selbstverständlich, dass ich meinen Gasteltern im Garten helfe, sie bei Arztbesuchen begleite und beim Einkaufen unterstütze. Diese Vertrautheit, die uns immer noch verbindet, weiß ich sehr zu schätzen.

 

Jetzt zum 40. Jubiläum war mein Besuch besonders bewegend: Wir haben viel in Erinnerungen geschwelgt und ich habe unter anderem auch mein Prom-Date von 1986 wieder getroffen! Gleichzeitig war es ein Besuch, bei dem die politische Situation in den USA zwangsläufig eine große Rolle gespielt hat. Die aktuellen Entwicklungen betreffen einfach jeden auf irgendeine Art und Weise – sei es im Job, an der Schule oder auch im gesellschaftlichen Miteinander. Was mich am meisten beeindruckt und auch mitgenommen hat, war das Gefühl meiner Gastfamilie, nicht mehr frei sprechen zu können – und das in den USA, dem Land der Free Speech! Es herrscht ein Klima der Angst und mich überkam zwischendurch eine große Erleichterung, in Deutschland zu leben.

 

Die größte Sorge, die ich bei den Menschen erlebt habe, war die um eine Erosion der demokratischen Werte – die ich noch in den 1980er Jahren in den USA gelernt habe! Dass ich jetzt an meiner Schule in München Demokratie-Beauftragte bin, dass ich die Junior-Wahl organisiert habe oder eine Auschwitz-Fahrt für meine Schüler*innen, zu der wir in Kürze aufbrechen werden: All das wurzelt in einem Verständnis von gesellschaftlicher Verantwortung, das ich in meinem Austauschjahr in den USA gelernt habe. Jetzt die Sorge der Menschen zu sehen: Das hat mich tief getroffen.

 

Wie würdest du deine Beziehung zu den USA beschreiben?

 

Ich liebe dieses Land – und die aktuelle Regierung ändert nichts daran. Gleichzeitig bin ich mir der Zwiespältigkeit in der US-amerikanischen Geschichte und der Gesellschaft sehr bewusst und es ist mir wichtig, meinen Schüler*innen auch diese Facetten im Unterricht zu zeigen. Wenn jetzt die Schule wieder los geht, werde ich auf jeden Fall auch von meiner Reise berichten  –  vor der übrigens seit langem mal wieder ganz schön nervös war: Vor meinem Abflug habe ich mich schon gefragt, wie wohl die Stimmung gegenüber Deutschland sein würde. Und da gab es dann doch wieder Parallelen zu meinem Austauschjahr: In Ohio spielen die diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Deutschland überhaupt keine Rolle und man ist den Deutschen weiterhin sehr wohlgesonnen.

 

Auch deshalb finde ich es so wichtig, dass wir weiter Kontakt zu den USA halten, und dass diese transatlantische Freundschaft nicht verloren geht – und das liegt an den Menschen, nicht an der Politik! Dafür müssen wir aktiv werden und miteinander in Kontakt treten: Und Schüleraustausch spielt da eine ganz zentrale Rolle. Wenn ich mit jungen Menschen über mein Austauschjahr in den USA spreche, möchte ich deshalb auch immer inspirieren und Mut machen, selbst den Schritt zu wagen: Denn jedes Jahr mag anders sein und verläuft sicher nicht immer so wie mein Austauschjahr – aber mit Sicherheit ist es immer prägend und lebensverändernd!

Heidrun im August 2025 mit ihren Gasteltern in London, Ohio

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Ein Jahr voller neuer Eindrücke: Heidrun mit ihrer Gastfamilie 1985 in Disney World, Florida

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High School Spirit erleben: Heidrun mit ihrer Gastschwester

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Highlight des Austauschjahres: Heidrun mit ihrem Prom-Date 1986...

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...und 40 Jahre später.

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Nach dem Austauschjahr