icon_meereskunde icon_outdoor-education icon_landwirtschaft_neu

„Gastfamilien sind das Herzstück unserer Programme.“ - Ein Interview mit Magdalene Lindemann

13. Juni 2025

Seit Anfang des Jahres ist Magdalene Lindemann Leiterin des Aufnahmeprogramms bei YFU – gemeinsam mit Joachim Wullenweber, der Ende Juni nach über 30 Jahren engagierter Arbeit bei YFU in den wohlverdienten Ruhestand gehen wird. Bevor Magdalene nun Anfang Juli allein das Ruder übernehmen wird, haben wir mit ihr über ihren Weg zu YFU gesprochen, über ihre Begeisterung für das Aufnahmeprogramm und ihre Ziele für die kommenden Jahre.

 

Liebe Magdalene, du bist seit 2016 Teil des Aufnahmeprogramm-Teams. Was hat dich damals zu YFU geführt?


Das erste Mal mit YFU in Kontakt gekommen bin ich 2009 als Lehrerin auf einem Orientierungs- und Sprachkurs (OSK) für Austauschschüler*innen hier in Deutschland. Das war noch während meines Studiums in Halle an der Saale. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht und ich kann mich noch gut erinnern, wie ich damals dachte, wie cool es wäre, einmal bei YFU zu arbeiten. Ich war selbst Austauschschülerin in Frankreich und habe mich dann auch während meines Studiums weiter mit dem Thema beschäftigt. Ich war und bin überzeugt, dass ein Austauschjahr zu Schulzeiten eine unglaublich große Wirkung hat und viel mehr auf die Ziele Kulturaustausch und Verständigung einzahlt als ein späterer Auslandsaufenthalt. Die Idee hat mich also schon seit langem begeistert und auch wenn ich nach dem Studium erst einmal einen anderen Job hatte, habe ich YFU nie aus den Augen verloren und immer mal nach offenen Stellen geschaut. Und 2016 war es dann so weit: Ich habe mich als stellvertretende Leiterin des Aufnahmeprogramms beworben – und mich total gefreut, als ich wenig später in der Geschäftsstelle starten durfte.

 

Was begeistert dich besonders am Aufnahmeprogramm?


Am allermeisten begeistern mich die ehrenamtlichen Gastfamilien und der Kontakt zu ihnen. Schüleraustausch verstehen viele oft in erster Linie als ein Angebot für junge Menschen. Das liegt auf der Hand und ist ja auch nicht falsch. Für einen Schüleraustausch, wie wir ihn bei YFU anbieten, spielen aber Gastfamilien eine mindestens ebenso wichtige Rolle. Es ist doch großartig, dass bei YFU ganze Familien und Menschen, die vielleicht nicht mehr 16 oder 17 sind, die Möglichkeit haben, nochmal so eine intensive interkulturelle Erfahrung zu machen und dabei ganz viel zu lernen – über andere Kulturen, aber vor allem auch über sich selbst. Für mich füllt das Aufnahmeprogramm den Begriff des lebenslangen Lernens mit Leben und begeistert mich in seiner Vielfalt immer wieder aufs Neue.

 

Ein Schwerpunkt deiner Arbeit ist die Platzierung, also die Zuordnung von Gastfamilien und Austauschschüler*innen hier in Deutschland. Wie findet man eigentlich das passende Gastkind für eine Familie?

 

Für mich ist es besonders wichtig, die Familien vorab so gut wie möglich kennenzulernen. Dafür sind die persönlichen Gespräche bei den Familien zu Hause, die unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen bei allen neuen Gastfamilien durchführen, Gold wert. Sie geben uns die Möglichkeit, noch einmal viel mehr über Interessen und Hobbys der Familie zu erfahren, aber auch über Dinge, die in einem Anmeldeformular nicht gut abzubilden sind: Wie ist zum Beispiel die Bindung innerhalb der Familie? Machen die Familienmitglieder viel zusammen, oder gestaltet sich jeder den Alltag relativ selbstständig? Das ist mindestens ebenso wichtig wie gemeinsame Interessen, wenn wir uns dann im nächsten Schritt die Unterlagen der Austauschschüler*innen ansehen und nach Überschneidungen schauen. Sind die Schüler*innen eher familiär orientiert oder legen sie mehr Wert darauf, unabhängig etwas zu unternehmen? Für manche Familien ist letzteres total wichtig, während andere großen Wert auf gemeinsame Zeit legen. Meiner Erfahrung nach sind solche Dinge sehr viel zentraler für ein gelungenes Familienleben als beispielsweise das Herkunftsland oder das Geschlecht des Gastkindes.

 

Mit dem Wechsel an die Spitze des Aufnahmeprogramms übernimmst du nun neue Verantwortung. Welche Ziele hast du dir für die kommenden Jahre gesetzt?

 

Mein größtes Ziel ist es, die Zahlen im Aufnahmeprogramm wieder zu stabilisieren. Das betrifft einmal die Zahl der jährlich anreisenden Austauschschüler*innen, die leider seit Corona rückläufig ist, zum anderen aber auch die Zahl der Gastfamilien hier in Deutschland. Ich möchte in Zukunft gern wieder mehr Menschen für die Idee begeistern, ein Gastkind bei sich aufzunehmen und als Gastfamilie eine Austauscherfahrung in den eigenen vier Wänden zu sammeln. Dabei gibt es natürlich Faktoren, die wir nicht unmittelbar beeinflussen können: Die steigenden Preise zum Beispiel, die viele Familien verunsichern. Oder auch die weltpolitische Situation, die Jugendliche und deren Eltern bei der Entscheidung für ein Austauschjahr in Europa vielleicht zögern lässt. Wo wir aber ansetzen können, ist zum Beispiel, die Qualität unserer Programme noch weiter zu verbessern, mehr Anreize für Gastfamilien und Jugendliche zu schaffen und den großen Wert eines Austauschjahres – für beide Seiten! – noch stärker hervorzuheben. Dabei geht das eine nicht ohne das andere: Wir können nicht mehr Austauschschüler*innen für ein Austauschjahr in Deutschland begeistern, wenn wir nicht gleichzeitig mehr Familien für das YFU-Aufnahmeprogramm gewinnen. Diese Situation macht deutlich, dass Gastfamilien ganz einfach das Herzstück unserer Programme sind, ohne die es Schüleraustausch mit YFU nicht geben kann. Es ist mir daher sehr wichtig, in Zukunft wieder mehr Menschen in Deutschland zu erreichen und deutlich zu machen, dass ein Jahr als Gastfamilie zwar viel Geben bedeutet, aber eben auch sehr viel Nehmen – an Erfahrung, Freundschaften und neuen Perspektiven. Das sind alles Dinge, die sich nicht in Geld messen lassen – die aber meiner Meinung nach unverzichtbar sind: für jeden Einzelnen ebenso wie für unsere Gesellschaft insgesamt.

 

Was sollten Familien, die zum ersten Mal ein Gastkind aufnehmen wollen, unbedingt wissen – und was würdest du ihnen persönlich mit auf den Weg geben?


Ich finde es am wichtigsten, dass Familien offenbleiben und sich wirklich auf ihr Gastkind einlassen – und sich nicht zu sehr von Erwartungen beeinflussen lassen. Denn wir sind alle unterschiedlich, und auch wenn wir manchmal denken, schon viel über ein anderes Land und dessen Kultur zu kennen: Der junge Mensch, der dann zu Beginn des Austauschjahres vor uns steht, ist in allererster Linie ein Individuum mit eigenen Ideen und Wünschen – und die müssen nicht unbedingt etwas mit unserer Idee von ihm oder ihr zu tun haben. Plakativ ausgedrückt: Nicht jeder Austauschschüler aus den USA mag Football und hat nur den Super Bowl im Kopf. Meiner Erfahrung nach ist diese Offenheit, erst einmal zu schauen, wer da eigentlich zu einem kommt, das Allerwichtigste. Ob das Gastkind das gleiche Alter oder auch das gleiche Geschlecht hat wie die Gastgeschwister, spielt da in aller Regel eher eine untergeordnete Rolle.

 

Auch unseren Austauschschüler*innen legen wir auf den YFU-Orientierungsseminaren zu Beginn des Austauschjahres sehr ans Herz, möglichst offen in das Austauschjahr zu starten und der zukünftigen Gastfamilie nicht mit festgefahrenen Erwartungen zu begegnen – und genau die gleiche Offenheit wünschen wir uns auch von unseren Gastfamilien. Mein wichtigster Tipp an alle neuen Gastfamilien wäre daher: Bleibt offen, habt Geduld – und gebt nicht zu schnell auf. Die ersten Wochen können manchmal auch anstrengend sein, aber aus meiner täglichen Arbeit weiß ich: Es lohnt sich absolut!

Neue Leitung im YFU-Aufnahmeprogramm: Magdalene Lindemann

Neue Leitung im YFU-Aufnahmeprogramm: Magdalene Lindemann

Austauschschüler in Deutschland