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Gastfamilien & Stipendien bei YFU

"Austausch bedeutet für mich nicht Animateur zu sein" — Erkenntnisse eines 36-fachen YFU-Gastvaters

 

 

März 2023

 

 

Seit über zwei Jahrzehnten sind Monika und Robert leidenschaftliche Gasteltern, die ihre Haustür für 36 Austauschschüler*innen aus der ganzen Welt geöffnet haben. Zuletzt für Ada aus der Türkei. Im Interview spricht Robert über seine Zeit als Gastvater, Erwartungen, Ängste und Zweifel und wie ihn die Aufnahme von Austauschschüler*innen jung gehalten hat. Er verrät auch, warum und auf welche Art und Weise seine Frau und er Stipendien finanzieren, um jungen Menschen eine wertvolle Lernerfahrung zu ermöglichen.

 

 

Lieber Robert,

du selbst warst mit YFU nicht im Austausch – wie bist du überhaupt zu YFU gekommen?

 

Ich bin über Umwege zu YFU gekommen. Angefangen hat alles mit meinem Schwager, der Ende der 90er Jahre ein Gastkind aus Brasilien in seine Familie aufgenommen hatte. Eigene genetische Kinder konnten wir aufgrund einer Erkrankung meiner Frau leider nicht bekommen, jedoch haben wir schon immer gerne etwas mit Kindern unternommen. Die Idee des Schüleraustauschs hielten wir für eine großartige Sache.  

 

Die positiven Erfahrungen meines Schwagers bestärkten uns in unserer Entscheidung, ein Gastkind aufzunehmen – zunächst über eine andere gemeinnützige Austauschorganisation. Nach einer ersten Informationsveranstaltung ging dann plötzlich alles ganz schnell. Zwei Wochen später stand ein Austauschschüler aus Argentinien vor unserer Tür.

 

Mit unserer ersten Austauscherfahrung waren wir nicht sehr glücklich. Das lag unter anderem daran, dass unser Austauschschüler nicht sehr einfach war und wir bereits die zweite Gastfamilie für ihn waren und quasi ins kalte Wasser geschmissen wurden. Trotzdem wollten wir der Sache noch eine Chance geben. Für das nächsten Mal wollten wir gut vorbereitet sein und nicht gleich ins kalte Wasser springen. Deshalb haben wir die Sache selbst in die Hand genommen und meine Frau hat an die 30 Austauschorganisationen angeschrieben, um gut informiert zu sein. Am Ende waren zwei gemeinnützige Austauschorganisationen in der engeren Auswahl – YFU war eine davon. Tatsächlich hätten wir uns fast für die andere Austauschorganisation entschieden. Als YFU uns dann kurzfristig das Profil von Pedro aus Brasilien vorlegte, wussten wir sofort, dass Pedro super in unsere Familie passen würde. 1999 startete dann unsere Austauschgeschichte mit YFU.

 

 

Meiner Recherche nach bist du über 30-facher Gastvater in den letzten 20 Jahren gewesen. Man könnte meinen, dass nach so einer langen Zeit Gastfamilien-Dasein auch mal Schluss ist mit Schüleraustausch – falsch gedacht. Auch 2022/2023 waren deine Frau und du Gasteltern für Ada aus der Türkei. Warum entscheidet ihr euch immer wieder dafür, einem jungen Menschen die Türen zu öffnen?

 

Um genau zu sein, bin ich sogar 36-facher Gastvater. Wir entscheiden uns immer wieder für die Aufnahme eines Gastkindes, weil wir den Schüleraustausch für einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag halten. Außerdem ist YFU ein wichtiger Teil in unserem Leben. Deshalb fällt es uns manchmal auch nicht leicht "Nein“ zu sagen. Da kann es dann auch mal passieren, dass auf einmal zwei Gastkinder zur gleichen Zeit bei uns am Tisch sitzen. Damit hatten wir bisher jedoch wenig Probleme.

 

Im letzten Jahr wollte ich zum Beispiel kein Kind aufnehmen, da wir einige Reisen geplant hatten. Meine Frau hingegen war anderer Auffassung. Kurz darauf hatten wir Ada aus der Türkei bei uns aufgenommen. Die Entscheidung für Ada bereue ich nicht. Er ist eine große Bereicherung für unser Familienleben. Wir haben viel Spaß zusammen.

 

 

Wagen wir einen Rückblick: Kannst du dich an dein erstes Mal Gastvater sein erinnern? Wenn ja, wie war das? Welche Erwartungen und Ängste hattest du?

 

Ich versuche jedes Mal meine Erwartungen runterzuschrauben. Das habe ich auch am Anfang getan. Wirkliche Ängste hatte ich nicht – und wenn doch, dann konnte ich mit meinem Schwager und meiner Frau darüber sprechen.

 

Rückblickend betrachtet, gab es natürlich auch herausfordernde Situationen. Gerade der Anfang ist häufig etwas holprig und für alle nicht einfach – später wurde es dann immer besser. Wir mussten lernen, als Familie mit den kulturellen Unterschieden und verschiedenen aufeinanderprallenden Persönlichkeiten umzugehen und zusammenwachsen. Ich selbst musste lernen, was es bedeutet, eine Autoritätsperson zu sein.

 

 

Bitte vervollständige den Satz: Gastvater sein, bedeutet für mich …

 

… jung zu bleiben. Ganz einfach. Ich glaube, dass der Kontakt zu jungen Menschen automatisch jünger macht. Da ich mich für die Lebensrealitäten meiner Austauschkinder interessiere, setze ich mich zwangsläufig mit den Themen und gegenwärtigen Trends der jüngeren Generation auseinander.

 

Dieses Bild lässt sich für mich auch auf das Ehrenamt übertragen. Der Austausch mit jungen Menschen lässt dich am Ball bleiben und du lernst immer wieder etwas Neues dazu.

 

 

Wie begegnest du Menschen, bei denen sich Zweifel einschleichen und Fragen aufpoppen, wie „Wird sich die Familie mit dem neuen Mitglied verstehen? Wird das Gastkind sich wohlfühlen? Haben wir als berufstätige Gasteltern genügend Zeit für das Gastkind?“

 

Wenn mir Menschen mit Zweifeln begegnen, dann vergleiche ich die Situation immer mit den leiblichen Kindern. Viele potenzielle Gastfamilien haben bereits eigene Kinder und können daher auf Erfahrungen zurückgreifen. Ein Kind in die Welt zu setzen, ist eine schwierige Entscheidung, die von Zweifeln und offenen Fragen begleitet sein kann. Und trotzdem entscheiden sich viele für ein Kind. Ähnlich verhält es sich bei Entscheidung für die Aufnahme eines Gastkindes.

 

Die Frage, ob berufstätige Gasteltern genügend Zeit für ein Gastkind haben, kann ich nur aus meiner persönlichen Erfahrung heraus beantworten. Als selbstständiger Programmierer habe ich schon immer viel gearbeitet. Eine Zeit lang war ich unter der Woche oft auf Geschäftsreise und bin erst donnerstags wieder zurückgekommen. Meine Frau war lange Zeit Inhaberin von zwei Blumenläden und dort beruflich sehr eingespannt. Wir haben unsere Berufstätigkeit nie als ein echtes Problem empfunden.

 

Tagsüber sind die Gastkinder in der Schule und gehen im Anschluss ihren Freizeitaktivitäten nach. In dieser Zeit ist sowieso niemand zu Hause. Zeit füreinander nehmen wir uns dann an den Wochenenden. Letztendlich bedeutet Austausch für mich nicht Animateur zu sein und 24/7 aufeinandersitzen, sondern ein ganz normales Familienleben zu führen.

 

 

Stichwort #InDerWeltZuhause – durch die vielen Austauscherfahrungen seid ihr sicherlich gut vernetzt in der Welt. Wie gestaltet sich der Kontakt zu euren ehemaligen Gastkindern?  

 

Ja, wir sind sehr gut vernetzt. Und zwar so gut, dass wir wahrscheinlich ohne Hotel einmal um die Welt reisen könnten.

 

Bis heute sind wir mit den meisten unserer Austauschschüler*innen noch in Kontakt – mit einigen mehr, mit anderen weniger. Dieses Jahr sind wir zum Beispiel auf zwei Hochzeiten in Georgien und Brasilien eingeladen. Bei einer Hochzeit soll ich Trauzeuge sein. Ostern kommt Adrian aus Mexiko, der jetzt in Deutschland lebt, und besucht uns mit seinen drei Kindern. Wir freuen uns sehr darauf. Dank der Digitalisierung sind wir über Social Media und Messenger-Dienste immer miteinander verbunden.

 

Meinen sechzigsten Geburtstag haben wir mit vielen unserer ehemaligen Austauschschüler*innen in Deutschland gefeiert. Alle auf einem Haufen. Das war sehr schön.


 

Immer mehr Familien können sich die Aufnahme eines Gastkindes nicht leisten. Steigende Kosten durch die Inflation und die pandemischen finanziellen Nachwirkungen sorgen für Unsicherheit und bauen Hürden auf. Wie können wir das ändern und noch mehr Gastfamilien, bei denen die Aufnahme eines Gastkindes an der finanziellen Situation scheitert, eine Austauscherfahrung ermöglichen?

 

Als Mitglied im Rat des Aufnahmeprogramms würde ich sehr gerne die Leistung von Gastfamilien mit einem finanziellen Zuschuss mehr wertschätzen. Leider weiß ich, dass uns als gemeinnütziger Verein die finanziellen Mittel fehlen, um all unsere Gastfamilien finanziell zu unterstützen. 

 

Um etwas zu verändern, muss das Thema stärker auf politischer Ebene diskutiert werden. Gastfamilien leisten einen wertvollen gesellschaftlichen Beitrag, der der deutschen Gemeinschaft zugutekommt. Austauschschüler*innen haben einen großen Impact auf ihr Umfeld. Die Bundesregierung sollte dies meiner Meinung nach wertschätzen und fördern. Dabei erwarte ich keine großen Summen, sondern würde mich schon freuen, wenn ich am Ende auf dem Steuerbescheid etwas abziehen könnte.

 

In diesem Zusammenhang halte ich insbesondere die Lobbyarbeit für ein wichtiges Instrument, um als Verein mit unserer zivilgesellschaftlichen Wirkung in der politischen Landschaft Stellung zu beziehen.

 

 

Jungen Menschen eine unvergessliche Lernerfahrung zu ermöglichen, liegt deiner Frau und dir am Herzen. Dafür habt ihr bereits mehrere Vollstipendien an Schüler*innen vergeben. Warum und wie macht ihr das?

 

Die Vergabe von Stipendien ist für uns eine Herzensangelegenheit. Besonders brasilianische Schüler*innen wollen wir unterstützen, weil wir einen engen Bezug zu Brasilien haben und die teils prekäre Lage junger Menschen vor Ort kennen. Mit dem Stipendium möchten wir Jugendlichen, die begabt und einfach toll sind, aber ohne ein Stipendium keine Möglichkeit haben aus ihrem Umfeld herauszukommen, die Chance für eine wertvolle Lernerfahrung geben. Und wenn es nur der Erwerb einer anderen Sprache ist, der ihnen Chancen und Wege eröffnet, aus ihrem Umfeld auszubrechen. Kontakt zu den Stipendiatinnen haben wir nicht, denn wir möchten keinen Druck ausüben, dass das Kind nett zu uns ist, weil es sich verpflichtet fühlt. Es wäre mein größtes Glück, wenn ich später mal hören würde, dass das Kind einen guten Job hat und z.B. bei YFU Brasilien arbeitet. Dann würde ich sagen „Yeah, das war toll“.

 

Die Stipendien finanzieren wir auf verschiedenen Wegen. Zum Beispiel konnten wir ein Vollstipendium in Folge meines sechzigsten Geburtstags vergeben. Anstelle von Geschenken haben meine Geburtstagsgäste für eine eigens für dieses Stipendium eingerichtete Anlassspenden-Aktion gespendet. Hinzukommen die Einnahmen meiner Frau aus ihrer kleinen Hundetagesstätte, die sie ebenfalls spendet.

 

Bei Monikas sechzigstem Geburtstag lief es ähnlich wie bei meinem Geburtstag und so konnten wir bereits zwei Stipendien an Schüler*innen aus Brasilien vergeben. Ein drittes Vollstipendium befindet sich in Planung.

 

 

Zum Schluss: Wann fühlst du dich am glücklichsten?

 

Am glücklichsten machen mich Momente, die Jahre nach dem Austausch passieren.

 

Wenn mich ehemalige Gastkinder zum Taufpaten ihres Kindes oder zum Trauzeugen bei ihrer Hochzeit machen. Wenn meine Frau und ich bei Hochzeiten vor dem Altar neben den leiblichen Eltern sitzen und die Großmutter von unserem ersten YFU-Gastkind Pedro uns einen Platz am Familientisch des Brautpaares erkämpft und die gesamte Tischordnung durcheinanderwirft oder der leibliche Vater eines meiner Gastkinder mich seinen Bruder nennt. Das sind dann Momente der Selbstwirksamkeit, die mir zeigen, dass wir irgendwas richtig gemacht haben.

 

 

Danke für das Interview, Robert!

 

 

 

INFORMIEREN & ENGAGIEREN

 

 
Gastfamilie werden bei YFU

Das Aufnahmeprogramm ist aktuell wieder auf der Suche nach Gastfamilien, die eines der rund 300 Austauschkinder, die in diesem Sommer nach Deutschland kommen, ein Zuhause geben wollen. 

 

Interessierte können sich von unseren Kolleginnen und Kollegen aus dem Aufnahmeprogramm hier beraten lassen oder sich selbst auf unserer Homepage und unserem FAQ informieren.

 

Schnellentschlossene können sich gleich hier als Gastfamilie anmelden.

 

Übrigens: Gastfamilien bei YFU müssen nicht in einer vermeintlich "typischen" Familienkonstellation aus Mutter-Vater-Kind leben.

Wer eigentlich alles Gastfamilie bei YFU werden kann, beschreibt unser neuester Beitrag im YFU-Blog 

 

 

Stipendien bei YFU

Interessierte, die Informationen zum Thema Stipendien benötigen, können sich per E-Mail mit Simone Stepp in Verbindung setzen. 

 

 

Sonst noch Fragen?

Für alle weitere Fragen und Informationen zum Engagement bei YFU ist das Team Ehrenamt die richtige Anlaufstelle: ehrenamt@yfu.de.

 

 

Monika und Robert mit Ada aus der Türkei und dem kleinen Bruno

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Weiße Hochzeit mit ehemaligen Austauschschüler*innen

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Robert's sechzigster Geburtstag mit ehemaligen Gastkindern

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Monika und Austauschschülerin Indra aus Brasilien

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Monika und Robert auf der Hochzeit von ihrer Austauschschülerin Kacie aus den USA

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