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YFU-Austauschschüler in Ecuador

YFU-Blog

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„Ein Austauschjahr sollten alle machen!“

31. Mai 2023

Pablo Silva ist 2005/06 von Ecuador aus aufgebrochen, um ein YFU-Austauschjahr in Deutschland zu verbringen. Ein Jahr, das sein Leben verändert hat und bis heute prägt. Wir haben mit Pablo über sein Austauschjahr und seine bleibende Verbindung zu YFU gesprochen.

 

Lieber Pablo, mit 18 Jahren hast du dich dazu entschlossen, mit YFU ein Austauschjahr in Deutschland zu verbringen. Wie kam es dazu?
Die Idee stammte ursprünglich von meiner Tante, die einen Schweizer geheiratet hatte und mit ihm dorthin gezogen war. Sie kam jedoch regelmäßig zu Besuch und bei einem dieser Besuche hier in Quito ermutigte sie mich, selbst ins Ausland zu gehen. Sie war überzeugt, dass mir das gut tun und später helfen würde. Ich fand die Idee auch spannend und gemeinsam haben wir uns dann mehrere Organisationen angeschaut. Bei YFU Ecuador hat mir gleich die familiäre Atmosphäre und intensive Beratung gefallen. Also entschieden wir uns für YFU und da ich mit 18 Jahren zu alt für die Schweiz war, fiel meine Wahl auf Deutschland, da ich gern die Sprache lernen wollte. Und nach diesem Entschluss ging alles ganz schnell. Wir haben alle Unterlagen bekommen und da war es an der Zeit, auch meinen Eltern Bescheid zu geben, die bisher noch gar nichts davon wussten (lacht).

 

Wie haben deine Eltern reagiert?

Meine Mutter war zuerst schon schockiert und hatte auch Angst um mich. Sie ist dann aber auch noch einmal mit ins YFU-Büro gefahren und hat sich alles genau erklären lassen. Ab da hat sie mich voll und ganz unterstützt – auch wenn Sie natürlich weiterhin in Sorge war und es ihr schwergefallen ist, loszulassen.

 

Wo genau hast du dann dein Austauschjahr verbracht?
Zuerst bin ich nach Solingen gereist, wo der Orientierungs- und Sprachkurs (OSK) für die Austauschschüler ohne Deutschkenntnisse stattgefunden hat. In dieser Zeit habe ich bei einer Gastfamilie gewohnt, mit der ich mich sehr gut verstanden habe. Wir haben heute noch Kontakt! Entsprechend wollte ich nach Ablauf der vier Wochen auch gar nicht weg, doch leider hatte die Familie nicht genug Platz für mich. Das hat mir meine Gastmutter auch – typisch deutsch – ganz direkt so gesagt, wofür ich ihr heute dankbar bin. Denn so hatte ich Klarheit und konnte mich schneller mit der Tatsache abfinden, dass es nun einmal weitergehen musste.

 

Wie hast du dann den Start in deiner Jahresfamilie empfunden?

Die Umstellung war schon groß. Meine Jahresfamilie hat in einem sehr kleinen Ort in der Nähe von Leipzig gewohnt – die nächstgrößere Gemeinde hatte 6000 Einwohner! Ich kam aus einer Drei-Millionen-Stadt. Ich erinnere mich auch, dass meine Gasteltern sehr ängstlich waren und ich zum Beispiel die ersten Radfahrten zur Schule nur mit meinen Gastgeschwistern machen durfte: Einer vorne, einer hinten, und ich in der Mitte, um sicherzugehen, dass ich auch wirklich Fahrrad fahren konnte. Heute kann ich das verstehen, denn einen Austauschschüler aufzunehmen, ist eine große Verantwortung. Damals fand ich das aber nicht so lustig (lacht). Durch meine Gasteltern habe ich dann auch erstmals verstanden, wie tief die Zweiteilung Deutschlands noch immer in den Köpfen der Menschen war: Für mich als Ecuadorianer war alles einfach nur Deutschland. Meine erste Gastfamilie sprach aber dann am Kaffeetisch von den „Ossis“, meine zweite Familie von den „Wessis“. Das war eine sehr interessante Erfahrung. In der Schule fiel mir der Start auch nicht ganz leicht: Dort gab es keine anderen Austauschschüler, niemand konnte Spanisch sprechen und auch nicht alle Englisch, das lediglich neben Russisch gewählt werden konnte. Im Nachhinein war das gut, denn so war ich gezwungen, wirklich Deutsch zu lernen. Aber der Anfang war schon schwer für mich.

 

Wie hast du diese Herausforderung dann gemeistert?

Ich bin einfach drangeblieben und hatte auch Glück, dass ich eine tolle Gastfamilie und auch eine wirklich gute YFU-Betreuerin hatte. Sie hat mir gerade beim Deutschlernen sehr geholfen und mir viele Tipps gegeben, wie zum Beispiel einen Tandem-Partner zu finden oder in der Schule am Deutschunterricht der jüngeren Jahrgangsstufen teilzunehmen. Das alles hat mir sehr geholfen.

 

Hast du heute noch Kontakt zu deiner Gastfamilie?

Ja! Und ich freue mich sehr, dass meine Gasteltern im Juli zum ersten Mal zu Besuch nach Ecuador kommen werden. Wir teilen die Liebe zum Wandern, was auch damals eine Rolle bei meiner Platzierung in der Familie gespielt hatte. Im Austauschjahr waren wir oft zusammen in der Sächsischen Schweiz unterwegs und dann auch klettern. Jetzt habe ich schon eine Route hier in Ecuador für sie vorbereitet, mit vielen Trips in die Berge.

 

Wenn du an dein Austauschjahr zurückdenkst: Woran denkst du zuerst?

Ich sehe mich, wie ich gegen Ende des Austauschjahres ganz selbstverständlich mit dem Rad zur Schule gefahren bin, beim Bäcker gehalten habe, dort noch ein paar Worte gewechselt habe und einfach ein Leben dort hatte, das ich mir mit so viel Mühe selbst aufgebaut hatte. Am Schluss hatte sich dann alles umgekehrt und alle kannten mich. 2006 war ja auch Fußballweltmeisterschaft und Ecuador und Deutschland waren in einer Gruppe. Ich erinnere mich, dass ich in mehreren Interviews für die Lokalzeitung von Ecuador erzählt habe, wodurch mich noch mehr Menschen auch mit Namen kannten. Der Abschied am Ende des Austauschjahres war dann auch sehr schwer und ich saß mit Tränen in den Augen im Zug auf dem Weg zum Flughafen. Aber der Weg dorthin, an diesen Punkt, nachdem der Anfang für mich so schwer war: Das ist das, was ich am meisten mit meinem Austauschjahr verbinde.

 

Würdest du sagen, dass dich dein Austauschjahr für deinen weiteren Lebensweg geprägt hat?
Oh ja, mein ganzer beruflicher Werdegang hat mit YFU begonnen. Nach dem Austauschjahr habe ich hier in Quito Tourismus studiert. Mir war damals nicht klar, dass zwar viele Deutsche als Touristen nach Ecuador reisen, aber nur wenige Menschen hier Deutsch sprechen. Ich habe entsprechend direkt nach der Uni erste Angebote bekommen und schnell als Reiseleiter gearbeitet. Von da an war es nur eine Frage der Zeit, bis ich mich selbstständig gemacht habe. Auch dabei hat YFU übrigens eine Rolle gespielt: Ich habe mich nach dem Austauschjahr ehrenamtlich für YFU engagiert und unter anderem die Austauschschüler*innen auf Reisen hier in Ecuador begleitet. Eines Tages hat mich Sandy, die Geschäftsführerin von YFU Ecuador, gefragt, ob ich nicht eine Tour in die Anden organisieren wolle. Das ist mittlerweile elf Jahre her und heute organisiere ich alle Reisen für die YFU-Austauschschüler*innen hier in Ecuador: eine Galapagos-, eine Anden- und eine Amazonas-Tour.

 

Du hast mit Vida Tours außerdem dein eigenes Reiseunternehmen in Ecuador gegründet: Wie hilft dir deine Erfahrung als Austauschschüler bei deiner Arbeit – auch ganz abgesehen, von der Sprache?
Diese Erfahrung hilft mir jeden Tag! Mindestens 80 Prozent unserer Gäste kommen aus Deutschland, viele auch aus der Schweiz. Mein Austauschjahr hilft mir dabei, deren Kultur und auch deren Bedürfnisse besser zu verstehen. Ich nutze auch regelmäßig einen Satz, den ich bei YFU gelernt habe: Die Dinge sind nicht besser oder schlechter, sondern nur anders! Dieser Satz hilft vor allem immer dann, wenn unsere Gäste anfangen, Dinge zu vergleichen oder auch zu bewerten. Dann greife ich darauf zurück und erkläre, dass viele Dinge hier in Ecuador zwar anders sein mögen, aber das alles seinen Sinn und seine Berechtigung hat. Ich ermutige unsere Gäste dazu, sich im Urlaub einfach zu entspannen und sich ganz offen auch auf Unterschiede einzulassen.

 

Du hast eben erwähnt, dass du auch die Touren für die YFU-Austauschschüler in Ecuador organisierst und leitest: Was bedeuten dir diese Reisen?
Ich genieße gerade diese Touren sehr, weil die Austauschschüler so neugierig sind und bereit, alles aufzunehmen und zu lernen. Die Touren sind dann auch kein reines Touri-Programm: Wir schlafen zum Beispiel unter anderem bei Gastfamilien der Kichwa del río Napo, um den Jugendlichen diesen Aspekt der ecuadorianischen Kultur näher zu bringen. Ein weiteres Thema, das mir am Herzen liegt, ist Natur- und Umweltschutz. Auf den Galapagos Inseln verbringe wir daher unter anderem auch einen Tag am Strand, um Mikroplastik aufzusammeln. Wir sprechen dann natürlich auch darüber und über den Fakt, dass es am Ende an uns allen ist, die Erde zu schützen. Wir möchten mit unseren Touren zum einen zeigen, wie reich Ecuador an Naturschätzen ist, und wie viele verschiedene Aspekte das Land und die Kultur hier haben. Gleichzeitig bin ich aber auch überzeugt, dass man diese Naturschätze gesehen haben muss, um sie wirklich schützen zu wollen. Am Ende sind diese Touren dann für uns alle – für die Schüler wie auch für mich als Guide – eine tolle und bereichernde Erfahrung, die mir sehr wichtig ist.

 

Du warst lange auch ehrenamtlich für YFU aktiv und engagierst dich heute noch im Vorstand von YFU Ecuador. Was motiviert dich für dein Ehrenamt?

YFU bedeutet mir sehr viel, weil ich sehe, was es mit meinem Leben gemacht und darin bewirkt hat. Ich glaube auch, ein Austauschjahr sollte jeder machen, denn es hilft der Welt! Man lernt so viel über Toleranz und Anpassungsfähigkeit, man lernt andere Austauschschüler kennen und hat mit allen etwas gemeinsam. Und jeder, der ein Austauschjahr macht, nimmt ein Stück von diesem Geist mit nach Hause und setzt im Idealfall das Beste aus beiden Welten ein. Dieser Gedanke hat mich immer motiviert und ich glaube, dass wir diesen „YFU-Spirit“ gerade jetzt, angesichts von Globalisierung, Klimakrise und weiteren Herausforderungen, dringender brauchen denn je.

 

Ehemaliger YFU-Austauschschüler und noch heute für den Verein aktiv: Pablo Silva aus Ecuador

Ehemaliger YFU-Austauschschüler und noch heute für den Verein aktiv: Pablo Silva aus Ecuador

Pablo mit seiner Gastfamilie während seines Austauschjahres 2005/06 in Deutschland

Pablo mit seiner Gastfamilie während seines Austauschjahres 2005/06 in Deutschland

Rückblick: Pablo mit seiner Klasse während des Austauschjahres.

Rückblick: Pablo mit seiner Klasse während des Austauschjahres.

Ausflug mit YFU-Austauschschüler*innen auf die Galapagos-Inseln

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Internationales YFU-Treffen in Ecuador: Mareike von Raepke und Knut Möller (Geschäftsführung YFU Dtl.) mit Pablo

Internationales YFU-Treffen in Ecuador: Mareike von Raepke und Knut Möller (Geschäftsführung YFU Dtl.) mit Pablo

Besuch im Gastland nach dem Austauschjahr