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Besuch im Gastland nach dem Austauschjahr

YFU-Blog

Aktuelles aus Verein und Austauschwelt

Ein halbes Leben später

8. Februar 2023

Lisa hat 2006/2007 mit YFU ein Austauschjahr in Chile verbracht und war danach lange ehrenamtlich für den Verein aktiv. Ende letzten Jahres hat Lisa ein gemeinsames Sabbatical mit ihrem Mann genutzt, um zum Auftakt einer langen Reise noch einmal nach Chile und zu ihrer ehemaligen Gastfamilie zu fahren. Hier verrät sie, wie sie das Wiedersehen ein halbes Leben später empfunden hat.

 

Liebe Lisa, 2006 bist du mit 16 Jahren aufgebrochen, um ein YFU-Austauschjahr in Chile zu verbringen. Jetzt, genau 16 Jahre später, warst du wieder bei deiner Gastfamilie zu Besuch. Wie kam es dazu und vor allem: Wie war das Wiedersehen?

Seitdem mein Mann und ich unser Sabbatical planten, war es mein Wunsch, wieder nach Chile zu reisen. Es ist nun genau mein halbes Leben her, dass ich dort ein Schuljahr verbracht habe und ich wollte so gern meine Gastfamilie wieder sehen. Es ist eine unglaubliche Erfahrung, am anderen Ende der Welt auf so viele Erinnerungen zu stoßen und nach all den Jahren die Herzlichkeit zu spüren. Als meine Gastmutter uns abgeholt hat, sind mir die Freudentränen gekommen. Ich hatte direkt wieder das Gefühl im Austauschjahr zu sein, als Teil der Familie.

In der Zeit, die wir im Dorf meiner Familie waren, haben wir uns jeden Tag gesehen, zusammen gegessen, das neue Geschäft angeguckt, das meine Geschwister bald eröffnen wollen, und die Bäckerei meiner Eltern, in der ich nach der Schule so oft frisches Brot geholt habe. Mit meinen Geschwistern sind wir einen Tag zu einer Weinprobe auf ein tolles Weingut gefahren und haben auch mal über politische Entwicklungen, die „chilenische Seele“ und die Familiendynamik gesprochen. Ich habe mich mit weiteren Freunden getroffen und der Familie meines Geschichtslehrers, der immer ein großes Herz für Austauschschüler hatte, und so waren die Tage wahnsinnig intensiv.

Mein Mann war quasi immer mit von der Partie, wurde gleich als Sohn aufgenommen und jeden Morgen beim Kaffee im Garten unseres kleinen Ferienhauses gab es die interkulturelle Nachbesprechung unserer Erlebnisse. Ich hatte jeden Tag das Gefühl, auf VBT und NBT und im Austausch gleichzeitig zu sein.

 

Gab es Dinge, die sich seit deinem Austauschjahr verändert hatten?

Mein Schlüssel von damals passte noch ins Schloss und das ganze Haus kam mir vor wie eine Zeitkapsel. Quasi nichts hat sich verändert, der gleiche Tisch, an dem wir jeden Abend zusammensaßen, die alten Fotos, auch von mir. Nur die Bewohner sind älter geworden.

 

Gab es etwas, das dich besonders überrascht hat?

Ich habe heute eine viel leichtere Beziehung und besseren Zugang zu meinen Gastgeschwistern. Das liegt vielleicht daran, dass gerade meine kleinen Brüder inzwischen erwachsen sind und vier bzw. acht Jahre Altersunterschied jetzt nicht mehr so viel ausmachen. Aber wie bei echten Geschwistern gab es damals Dynamiken, die heute nicht mehr da sind und wir hatten eine ganz enge Zeit.

 

Der Besuch hat sicherlich viele Erinnerungen an dein Austauschjahr wieder lebendig werden lassen: Gibt es etwas, das du dir selbst rückblickend für dein Austauschjahr raten würdest?

Ich würde denke ich vieles genau wieder so machen, aber würde gern noch mal ins Bewusstsein rufen, dass man als KulturbotschafterIn unterwegs ist. Austausch ist ein unglaubliches Privileg für die SchülerInnen, die in einem fremden Land von so vielen Menschen eingeladen werden, Teil von deren Leben zu sein. Ich habe in der Zeit damals so viel mitgenommen für mich persönlich, aber bei diesem Besuch habe ich noch mal so schöne Rückmeldungen von meiner Familie und Freunden bekommen, dass es ein Austausch in beide Richtungen war und darüber bin ich sehr froh.

 

Mit dem Lebenslinien-Projekt geht die Deutsche YFU Stiftung der Frage nach, wie Austausch auch langfristig bei Teilnehmenden fortwirkt: Welche Spuren hat die Austauscherfahrung in ihrem Leben hinterlassen. Wie würdest du diese Frage beantworten?

Austausch hat mich sicherlich toleranter und resilienter gemacht und meinen Blick geöffnet dafür, dass ich eine Weltenbürgerin bin und welche Verantwortung damit einhergeht. Beruflich hat der Austausch definitiv meine Studienwahl (Interkulturelle Kommunikation und Kulturwissenschaften) beeinflusst und in jedem Bewerbungsprozess war das Austauschjahr ein tolles Thema. Die Lust am Austausch ist geblieben und auch im Studium und im Beruf hat es mich immer wieder ins Ausland bzw. zu internationalen Themen gezogen. Persönlich habe ich viele lange und enge Freundschaften aus der YFU-Community mit Menschen, die mit mir diese Erfahrung gemacht haben. Die Austauscherfahrung war definitiv eine der prägendsten Abschnitte in meinem Leben und ich kann nur jeder und jedem ans Herz legen, selbst hinaus in die Welt zu gehen oder sich die Welt nach Hause zu holen!

 

Vielen lieben Dank an Lisa, die sich auf ihrer Reise die Zeit genommen hat, uns von ihrem Wiedersehen in halbes Leben später zu berichten!

Lisa mit ihrer Gastfamilie 2006...

Lisa mit ihrer Gastfamilie 2006...

...und ein halbes Leben später 2022.

...und ein halbes Leben später 2022.

Gemeinsamer Ausflug mit Gastgeschwistern

Gemeinsamer Ausflug mit Gastgeschwistern

Rückblick: Lisa mit ihrer Klasse während des Austauschjahres

Rückblick: Lisa mit ihrer Klasse während des Austauschjahres

Besuch im Gastland nach dem Austauschjahr