15 Jahre, 18 Jugendliche, 13 Länder – wenn Familie Fischer von ihrem Leben als Gastfamilie erzählt, klingt es fast wie eine kleine Weltreise im eigenen Zuhause. Seit ihrem ersten Austauschschüler haben sie immer wieder ihre Türen und Herzen für Jugendliche aus der ganzen Welt geöffnet – und dabei unzählige Geschichten und unvergessliche Momente erlebt. Was sie dabei besonders bewegt hat, was sie motiviert und was sie zukünftigen Gastfamilien mit auf den Weg geben würden, erzählen sie im Interview.
Liebe Familie Fischer, können Sie sich noch an den Moment erinnern, als Sie beschlossen haben, zum ersten Mal ein Gastkind aufzunehmen?
Bevor wir mit YFU Gastfamilie geworden sind, hatten wir bereits zahlreiche Au-pairs bei uns zu Hause, die uns mit unseren drei – damals noch kleinen – Kindern unterstützt haben. Als diese Phase zu Ende ging, fehlte uns etwas. Und als wir 2009 zufällig einen Aufruf von YFU im DJH-Magazin gesehen haben, hatten wir sofort das Gefühl: „Das ist was für uns!“
Wir haben uns dann ziemlich schnell bei YFU gemeldet und einen Schüler aus Argentinien aufgenommen. Das Zusammenleben hat allerdings leider gar nicht funktioniert: Für uns war immer klar, dass Austauschschüler bei uns keine Gäste sein würden, sondern Teil der Familie – mit allen Rechten, aber auch Pflichten. Das passte so gar nicht zu Eloys Erwartungen, der sich daher nach vielen Gesprächen entschied, die Familie zu wechseln. Das hat uns aber nicht abgeschreckt, weiterhin Austauschschüler willkommen zu heißen: Wir hatten durch unsere Erfahrungen mit Au-pairs schon gelernt, dass es auch mal nicht passen kann – Menschen sind schließlich alle unterschiedlich. Und wenig später zog mit Christoph aus Rumänien schon der nächste YFU-Austauschschüler bei uns ein. Das war dann für alle Beteiligten ein ganz wunderbares Jahr!
An was erinnern Sie sich aus diesem Jahr besonders gern?
Ach, da gibt es so viele Dinge! Mit Christoph passte einfach von Anfang an alles. Besonders eng war die Beziehung zu unserem ältesten Sohn – die beiden haben allen möglichen und unmöglichen Quatsch miteinander gemacht. Wir anderen hatten aber auch viel Spaß mit Christoph, der aus einem sehr behüteten Elternhaus kam und entsprechend überhaupt keine Selbstständigkeit mitbrachte: Er hatte zum Beispiel noch nie in seinem Leben sein Brot selbst geschmiert. Das gab große Lacher am Abendbrottisch!
Wir haben Christoph genauso behandelt wie unsere eigenen Kinder und er hat sich in der Zeit bei uns unglaublich entwickelt. Weniger im Deutschen – das konnte er schon ganz gut und hatte kaum Motivation, seine Sprachkenntnisse noch zu perfektionieren – aber in seiner Persönlichkeitsentwicklung hat er riesengroße Sprünge gemacht. Diese Entwicklung zu beobachten und zu begleiten, und die Jugendlichen in ihrer Selbstständigkeit zu bestärken, das ist eines der Dinge, die wir so besonders daran schätzen, Gastfamilie zu sein.
Wie genau machen Sie das?
Im Grunde leisten wir Hilfe zur Selbsthilfe! Viele Jugendliche, die zu uns gekommen sind, kannten es von zu Hause überhaupt nicht, Aufgaben im Haushalt zu übernehmen. Für unser Zusammenleben als berufstätige Eltern mit drei Kindern war es aber ganz wichtig, dass alle ihren Teil beitragen. Und wenn Jugendliche zu uns gekommen sind, die noch nie in ihrem Leben einen Putzlappen in der Hand gehalten hatten, mussten sie das bei uns eben lernen. Das hat natürlich nicht immer ohne Konflikte geklappt – aber die gibt es mit den eigenen Kindern ja auch. Mit Gesprächen und vor allem Humor haben wir das am Ende in den allermeisten Fällen gut hinbekommen.
Darüber hinaus war es uns immer wichtig, die Jugendlichen darin zu bestärken, das Beste aus ihrem Austauschjahr herauszuholen: So ein Jahr ist ja die Gelegenheit, sich abseits der Erwartungen der Eltern oder Verpflichtungen der Schule mal ganz neu kennenzulernen und zu erfinden! Neue Sportarten, Hobbys, Interessen… als Austauschschüler hat man die Chance, Neues auszuprobieren. Darin haben wir unsere Gastkinder immer unterstützt und versucht, sie zu motivieren.
Sie haben in 15 Jahren 18 Jugendliche aus 13 unterschiedlichen Ländern bei sich aufgenommen. Wie haben Ihre eigenen Kinder darauf reagiert?
Unsere Kinder fanden es toll, dass bei uns immer etwas los war – unsere Jüngste ist 1999 geboren und kannte es auch durch unsere Au-pairs gar nicht anders, als dass da immer noch ein (wechselndes) Familienmitglied mehr mit am Tisch sitzt. Wir haben nach dem Jahr mit Christoph mehr oder weniger nahtlos weiter Austauschschüler und Austauschschülerinnen aufgenommen – mal für ein Jahr, mal auch für kürzere Zeiträume. Als unser ältester Sohn schon aus dem Haus war und unsere jüngste Tochter selbst ihr Austauschjahr in Panama verbrachte, hat unsere Mittlere, die gerade selbst von ihrem Jahr mit YFU in Schweden zurückgekommen ist, das sogar eingefordert: Ganz allein mit uns beiden hat sie es kaum ausgehalten (lachen). Da kam dann Maria aus Argentinien zu uns, und die beiden waren ein Herz und eine Seele und haben heute noch Kontakt.
Wir glauben, dass die Austauschschüler bei uns zu Hause auch deutlich dazu beigetragen haben, dass unsere Kinder nicht nur mit einem weiten Horizont auf die Welt blicken, sondern auch offen und neugierig gegenüber anderen Kulturen und Lebensweisen sind. Alle drei haben selbst ein Schuljahr im Ausland verbracht und dadurch noch einmal ganz neue Perspektiven gewonnen – auf die Welt, aber auch auf unser Leben, unser Land und auf die Privilegien, die wir hier genießen.
Wir haben bei unseren Kindern wie auch bei den meisten unserer Gastkinder beobachten können, wie sehr ein Austauschjahr das Leben prägt und bereichert. Das ist ein unglaublich wertvoller Schatz und wir wollen jungen Menschen dabei helfen, diesen Schatz zu heben – als Gasteltern oder aktuell mit Spenden für Jugendliche, die sonst nicht die Möglichkeit dazu hätten.
Aktuell können Sie aufgrund Ihrer Wohnsituation keine Austauschschüler*innen für einen längeren Zeitraum aufnehmen. Fehlt Ihnen das Gastfamilie-Sein?
Wir haben über 25 Jahre lang immer wieder junge Menschen bei uns zu Hause aufgenommen und in dieser Zeit mindestens ebenso viel von ihnen gelernt, wie sie von uns. Ich weiß noch, wie unser erster Austauschschüler aus der Türkei 2021 bei uns ankam: Aus einem Land, von dem wir eine ziemlich feste Vorstellung hatten – und dann mit so manchem Vorurteil aufräumen mussten.
Der Alltag ist auch insgesamt einfach spannender, wenn da noch jemand dabei ist, der Neues einbringt und Leben in die Bude bringt! Dieser Austausch mit jungen Menschen, die nicht nur aus ihrem Herkunftsland berichten, sondern auch aus einer ganz anderen Generation mit anderen Themen kommen – den genießen wir und den vermissen wir jetzt manchmal.
Zusätzlich sind wir überzeugt: Menschen, die sich kennen, schießen nicht aufeinander. Wenn man sich die Mühe macht, offen auf andere zuzugehen und einander zuzuhören, dann kann man die tollsten Dinge erleben und unglaublich viel lernen. Und diese Fähigkeit ist wie ein Muskel: Wenn man ihn lange nicht bewegt, wird er träge. Für uns ist daher klar, dass wir wieder Austauschschüler längerfristig bei uns aufnehmen werden, sobald wir den Platz haben – weil es uns Spaß macht, aber auch weil wir es für die jungen Menschen und unsere Gesellschaft als unglaublich wichtig und bereichernd empfinden.
Das Leben als Gastfamilie bringt auch Herausforderungen mit sich. Wie sind Sie diesen begegnet und was würden Sie zukünftigen Gastfamilien raten?
Wir haben gemerkt, dass klare Regeln sehr hilfreich sind: Irgendwann haben wir auf Englisch die „Fischer Family Rules“ schriftlich festgehalten und immer am Anfang des Jahres gemeinsam mit den Jugendlichen besprochen. Das hat ganz viel Klarheit gebracht. Gleichzeitig haben wir uns als Familie natürlich auch mit jedem Austauschschüler ein Stück bewegt und verändert: Wenn ein Kind hier ankam, dem es unglaublich wichtig war, abends warm zu essen, haben wir dafür eine Lösung gefunden. Bei allen Regeln ist es wichtig, auch Flexibilität mitzubringen und aufeinander zuzugehen – so wie bei jedem anderen zwischenmenschlichen Zusammenleben auch.
Außerdem würden wir allen zukünftigen Gastfamilien ans Herz legen, nicht zu viele Erwartungen zu haben: Am Ende kommt es sowieso immer anders, als man denkt. Je offener man an die Sache herangeht, desto besser kann man sich auf den individuellen Menschen einlassen, der da zu einem kommt.
Und ganz wichtig ist und war für uns immer, mit einer ordentlichen Portion Gelassenheit und Humor an die Sache ranzugehen. Klar geht es nicht ohne Konflikte – aber wenn man abends beim Essen darüber sprechen und schon wieder gemeinsam darüber lachen kann, ist alles gleich halb so wild. Wichtig ist, bei jedem Problem auch die Perspektive des Austauschschülers zu berücksichtigen: Als Gastfamilie sind wir ja in der privilegierteren Position, das muss man sich zwischendurch bewusst machen.
Am allerwichtigsten finden wir aber, sich schon im Vorfeld klarzumachen, dass ein Austauschschüler kein Gast ist – oder zumindest nicht lange. Die ersten Tage sicherlich schon, aber als Familie muss man so schnell wie möglich versuchen, wieder in den normalen Alltag zurückzufinden – dann eben einfach mit einem Familienmitglied mehr. Dafür muss man auch mit dem Gedanken klarkommen, dass da jemand Neues ist, der sich selbstverständlich zu Hause bewegt und sich zum Beispiel am Kühlschrank bedient. Im Gegenzug haben wir uns als Gastfamilie aber auch nie für ein Unterhaltungsprogramm zuständig gefühlt. In dieses Denkmuster, als Gastfamilie „etwas bieten“ zu müssen, darf man gar nicht erst verfallen – das schafft man auch gar nicht. Man schenkt als Gastfamilie keine Events, sondern Familienleben – und darum geht es bei einem Austauschjahr letztendlich auch.
Zusammenfassend kann man sagen: Wenn man mit Gelassenheit, Offenheit und einem Stück Flexibilität in das Jahr als Gastfamilie startet, hat man gute Chancen, dass es ein bereicherndes und schönes Jahr wird – für einen selbst und für die Jugendlichen, die man auf einem kurzen, aber besonders prägenden und wertvollen Stück ihres Lebenswegs begleitet.