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Bildungspolitisches Arbeitstreffen zum Thema Jugend- und Schüleraustausch

YFU-Blog

Aktuelles aus Verein und Austauschwelt

Kein Schulabschluss ohne Angebot zur Teilnahme an internationalem Austausch! – Ein Kommentar

14. September 2023

„Wir sind der Überzeugung, dass Austausch ein wirksames Mittel gegen Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus ist. Daher ist es heute eine der zentralen bildungspolitischen Aufgaben, jungen Menschen die Gelegenheit zu geben, sich Kenntnisse und Fähigkeiten für ein verantwortungsvolles Handeln in der Welt anzueignen.“ Mit diesen Worten beginnt die sogenannte „Berliner Erklärung“, mit der sich in diesen Tagen insgesamt 21 Bildungspolitiker*innen aus ganz Deutschland für internationalen Jugendaustausch einsetzen. Das Besondere: Durch diese 21 Politiker*innen sind alle demokratischen Parteien repräsentiert, die im Bundestag vertreten sind. Die gemeinsame Erklärung wurde bei einer Tagung für Bildungspolitiker*innen der Länder formuliert, die in diesem Juni in Berlin stattgefunden hat. Fraktionsübergreifend, kooperativ und mit Blick auf ein Ziel: Wie können wir die Teilnahmebedingungen für Schüler*innen in Deutschland an internationalen Austauschprogrammen verbessern, Hürden abbauen und Austauscherfahrungen zu einem selbstverständlichen Teil der Bildungsbiografie aller Jugendlichen in Deutschland machen?

 

Als wir 2019, damals zunächst gemeinsam mit der Robert Bosch Stiftung und dann bald auch mit der Initiative „Austausch macht Schule“, begonnen haben, uns mit dieser Zielsetzung an Politiker*innen in ganz Deutschland zu wenden, hätten wir uns eine solche Erklärung nicht träumen lassen. Damals waren die Ergebnisse der sogenannten Zugangsstudie frisch erschienen, die aufzeigte, dass nur 27% aller Jugendlichen in Deutschland Austauschangebote wahrnehmen – viel zu wenige! Unser Gedanke war damals, dass dieses schlechte Ergebnis nur zu verbessern wäre, wenn sich die Gelingensbedingungen von Austausch systematisch verändern. Wir wollten versuchen, dies über die Arbeit mit bildungspolitischen Entscheider*innen zu erreichen, indem wir Zugangshürden aufzeigten und Ansätze für strukturelle und nachhaltige Verbesserung erarbeiteten. Unsere Überlegung war, dass wir das am besten fraktions- und länderübergreifend würden erreichen können, um trotz Bildungsföderalismus möglichst viel Gehör zu erhalten. Wenn jedes Land das eigene Süppchen kocht, kann keine wirksame Verbesserung erreicht werden – die Länder sollen zusammenwirken und voneinander lernen. Das war unsere Grundidee. Die große Frage war nur, ob die Bildungspolitiker*innen, die wir mit der Kampagne „Herz, Hand und Kopf – Internationale Verständigung durch Jugend- und Schüleraustausch“ ansprachen, dies genau so sehen würden.

 

 Wohlwollen und Zweifel

 

Bei der Planung und Durchführung unserer Auftaktveranstaltung in Nizza 2019 waren wir gespannt und nervös, ob unser Vorhaben gelingen würde. Wir stießen gleich auf viel Wohlwollen dem Thema Austausch gegenüber. Dass dieser eine wichtige Komponente guter Bildung ist, die junge Menschen auf eine globalisierte Welt vorbereitet und das Leben miteinander, und nicht gegeneinander lehrt, darüber herrschte schnell Einigkeit. Unser Gedanke, hier übergreifend zusammenzuarbeiten, wurde aber auch explizit abgelehnt. Die Idee sei nett, war einer der Wortbeiträge in der Abschlussrunde, aber eines sollte uns klar sein: Partei- und länderübergreifende Kooperationen würde es nicht geben. Zu groß schienen die politischen Differenzen, zu wichtig der Blick auf die Wahrnehmung der Interessen der eigenen Partei und zu gering die Bereitschaft, über die Grenzen der Bundesländer hinaus zu kooperieren.  Jetzt, vier Jahre später, blicken wir auf eine gemeinsame Erklärung von Politiker*innen aller demokratischer Parteien aus inzwischen schon elf Ländern – und sind wirklich stolz! Es geht also doch. Gegenwärtig bemühen wir uns noch um die Unterstützung von Mitgliedern der Schul- und Bildungsausschüsse der noch fehlenden fünf Ländern. Wir sind optimistisch, dass wir auch dieses Ziel noch erreichen werden.

 

Dieser Erklärung zugrunde liegen Jahre, in denen wir kontinuierlich mit Politiker*innen in Landes- und Bundespolitik über unser Anliegen gesprochen haben. Individuell, aber auch in gemeinsamen Treffen, in denen wir noch einmal detaillierter die Situation für internationalen Austausch erläutern konnten. Dabei stießen wir immer auf offene Ohren und echte Begeisterung für unser Angebot. Die teilnehmenden Abgeordneten erlebten das gemeinsame Arbeiten in unserem non-formalen Kontext offensichtlich als Bereicherung, zeigten Wohlwollen und Begeisterung für unser Thema und brachten zunehmend ihren Willen zum Ausdruck, das Thema Austausch stärker als bisher in der deutschen Bildungslandschaft zu verankern.

 

 Es geht um Bildungsgerechtigkeit

 

Denn das ist unser Kernanliegen, das nun in der Berliner Erklärung auf den Punkt gebracht wird: „Kein Schulabschluss ohne ein Angebot zur Teilnahme an einem internationalen Austausch“, heißt es darin. Es geht um Bildungsgerechtigkeit und die Frage, wie man verstärkt bisher „austauschferne“ Zielgruppen an nicht-gymnasialen Schularten erreichen kann. Durch bessere Information über Austauschformate an allen Schularten. Durch Fördermittelprogramme und Stipendien. Durch eine stärkere Thematisierung von Austausch in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften. Und mit Unterstützung durch außerschulische Partner für internationale Bildungskooperationen. Dabei ist klar: Bildung ist Ländersache und wird es vermutlich bleiben; dennoch soll der internationale Austausch auch bei der Entwicklung nationaler Strategien für das Bildungssystem berücksichtigt werden.

 

Die Ergebnisdokumentation des bildungspolitischen Arbeitstreffens, auf dem die Berliner Erklärung verabschiedet wurde, sowie die Erklärung im vollständigen Wortlaut kann in diesem PDF-Dokument eingesehen werden.

 

Wir sind stolz auf diesen Erfolg, den wir gemeinsam mit der Initiative „Austausch macht Schule“ in den letzten Jahren erarbeitet haben. Unser großer Dank gilt dabei der Stiftung Mercator, die unsere bildungspolitischen Arbeitstreffen und Informationsreisen in den letzten Jahren großzügig unterstützt und dadurch viele Kooperationen überhaupt erst möglich gemacht hat. Wir danken außerdem den unterzeichnenden Politiker*innen für Ihren Einsatz für internationalen Jugendaustausch und für gute, nachhaltige Bildung in Deutschland.

 

 Blick nach vorne

 

Schon jetzt richten wir den Blick nach vorne und freuen uns auf die nächste Informationsreise, die uns gemeinsam mit den Abgeordneten im kommenden Frühjahr nach Prag führen wird. Und die Gespräche und Identifizierung von Handlungsansätzen gewinnen weiter an Bedeutung: Wir nehmen die aktuelle Diskussion um Kürzungen im Bildungsbereich sehr besorgt wahr und sind überzeugt, dass an der falschen Stelle gespart wird. Genauso wie Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung oder die Energiewende, ist Investition in gute Bildung unverzichtbar für eine gesunde Gesellschaft von morgen. Und Austauscherfahrungen müssen ein fester Bestandteil von Bildung werden. Sie eröffnen wie nur wenige andere (non-formale) Bildungsangebote jungen Menschen die Chance, sich durch das Eintauchen in eine neue Kultur, durch Perspektivwechsel und das Erleben von internationalen Miteinander Fähigkeiten anzueignen, mit denen sie den Herausforderungen unserer Zeit verantwortungsvoll begegnen können.

 

Ein Kommentar von Jantje Theege (YFU) und Knut Möller (AJA)

Jantje Theege, stellvertretende YFU-Geschäftsführerin

Jantje Theege, stellvertretende YFU-Geschäftsführerin

Knut Möller, Senior Advisor Arbeitskreis gemeinnütziger Jugendaustausch (AJA)

Knut Möller, Senior Advisor Arbeitskreis gemeinnütziger Jugendaustausch (AJA)

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