#Engagiert | Menschen bei YFU | Aus dem Verein
Queer-sensible Jugendarbeit bei YFU —
ein persönlicher Realitätscheck mit Finn aus der AG Vielfalt
April 2023
Am 31. März wird weltweit der Transgender Visibility Day begangen, um die Sichtbarkeit von trans Personen zu erhöhen. Sichtbarkeit für queere Menschen und andere marginalisierte Gruppen bei YFU zu schaffen, beschäftigt uns nicht erst seit gestern. Offenheit und Toleranz sind fest in der Identität des Vereins verankert und treiben uns in unseren Aktivitäten an.
Wir haben mit Finn aus der AG Vielfalt einen Deep Dive gewagt. Im Interview sprechen wir über die Bedeutung queer-sensibler Jugendarbeit, zu bewältigende Herausforderungen und queer-inklusive YFU-Seminare. Außerdem lernen wir etwas über die Ziele der AG Vielfalt, fragen uns wie gendersensibel die Jugend von heute ist und erfahren, welche kleinen Dinge Finn so richtig glücklich machen.
Hallo Finn,
was bedeutet queer-sensible Jugendarbeit für dich?
Queer-sensible Jugendarbeit bedeutet für mich, dass queere Teilnehmende von Konzept bis Struktur mitgedacht werden. Sie sollen nicht um besondere Berücksichtigung bitten müssen, sondern sich unterstützt und wertgeschätzt fühlen. Gleichzeitig soll eine prinzipielle Offenheit und Sensibilität gegenüber jeglicher marginalisierten Gruppe signalisiert werden.
Wie können Seminare für Austauschschüler*innen zu einem queer-inklusiven Ort werden?
Damit sich alle Schüler*innen auf YFU-Seminaren sicher und willkommen fühlen, egal welche Sexualität, Geschlechtsidentität oder Fragen sie haben, brauchen wir diversitätsorientierte Bildungsarbeit. Aktuell teilen wir auf Seminaren unsere Teilnehmenden nach dem Geschlecht, wie sie in ihrem Pass und somit unserem Intranet gelistet sind, in Jungszimmer oder Mädchenzimmer ein. Für Teilnehmende, die sich aber beispielsweise weder mit der einen noch der anderen Zuordnung wohl fühlen, gibt es keinerlei Angebote und sie müssen sich mit einem System rumschlagen, das sie nicht berücksichtig oder mitdenkt. Ändern kann sich das durch konkrete Handlungsanweisungen für den Umgang mit Geschlechterdiversität auf Seminaren. Bislang gab es keine Möglichkeit einen diversen Geschlechtseintrag oder außerhalb von einem Kommentar das richtige, also das empfundene, Geschlecht eintragen zu lassen. Das hat sich jetzt geändert. Ab jetzt kann sowohl männlich, weiblich, als auch divers eingetragen werden. Zusätzlich können Pronomen hinterlegt werden. Indem solche Schwierigkeiten zur Sprache kommen, werden sie greifbarer. Das ist wichtig, denn ich denke inklusiver und versuche aktiv Hürden abzubauen, wenn ich selbst ein Bewusstsein dafür habe, mit welchem Herausforderungen sich marginalisierte Gruppen immer wieder konfrontiert sehen. Das kann eben beispielsweise durch das Angebot einer geschlechtsneutralen Toilette oder eines Einzelzimmers passieren.
Welche Maßnahmen werden bereits umgesetzt und wo liegen die Herausforderungen deiner Meinung nach?
Die Herausforderung liegt meiner Meinung nach in den meisten Fällen absolut nicht an einer fehlenden Bereitschaft einen inklusiven Raum für alle Teilnehmenden zu bieten, sondern an der fehlenden Vorstellung, wie das ausschauen kann oder soll. Das führt häufig zu einer – durchaus verständlichen – Angst es falsch zu machen oder einer grundsätzlichen Überforderung. Ich glaube, dass der Schlüssel in der Weiterbildung und Informationsweitergabe liegt. Nur wer sich informiert und sich sicher im Umgang mit Begriffen, Konzepten und Hilfestellungen fühlt, verspürt auch eine Handlungssicherheit. Eine weitere Herausforderung ist häufig auch die bereits existierende Struktur. Queere Teilnehmende sind in vielen unserer Konzepte gar nicht vorgesehen und somit auch nicht mitgedacht. Es muss also immer bewusst bei der Vorbereitung eines Seminars thematisiert, zusätzlich bedacht und immer wieder neu umgesetzt werden. Es bräuchte leichter zugängliche Konzepte, durch welche in kurzer Zeit zumindest ein grober Überblick zum Thema gegeben werden kann. Zusätzlich sind Schulungen auf Landesgruppenebene wünschenswert.
Was die Maßnahmen betrifft, weiß ich, dass es in vielen Teams bereits der Standard ist, die Pronomen der Teamenden zu kommunizieren (z.B. auf Namensschildern) und es somit anderen zu erleichtern, das ebenfalls zu tun und ihre Pronomen so leichter kundzutun. Pronomen nutzen wir als Stellvertreter für Namen. In der deutschen Sprache sind das bislang meistens er oder sie. Während es zwar neutrale Optionen gibt, sind diese meist wenig bekannt und häufig nicht eingeübt. Indem das auf Seminaren von Leitung und Team thematisiert wird, schaffen wir allen unseren Teilnehmenden den Platz sich wie sie sind, akzeptiert zu fühlen. Zusätzlich würde ich sagen, dass ein gewisses Grundverständnis darüber herrscht, dass Sexualität und Geschlechtsidentität relevante Themen für unsere Teilnehmenden sind und sehr viele ehrenamtliche Teams und Leitungen bereits seit Jahren „Regenbogenteamende“ als Ansprechpersonen auf Seminaren etabliert haben. Es ist absolut kein neues Thema und ich finde es sehr wichtig darauf zu verweisen, dass viele engagierte Personen bei YFU sich dazu schon seit vielen Jahren Gedanken machen.
Wie gendersensibel erlebst du Schüler*innen im täglichen Austausch auf Seminaren?
Prinzipiell soll gesagt sein, dass wir wirklich tolle Teilnehmende haben. Gendersensibiltät finde ich dafür erstmal ein zu großes Wort. Ganz egal, ob die Teilnehmenden eine Idee davon haben, was Begriffe wie queer, trans oder nicht-binär bedeuten, sind sie meistens empathisch und freundlich und versuchen sich gegenseitig zu unterstützen. Ich finde durchaus, dass ein größeres Verständnis und Wissen über Vielfaltsthemen herrschen als noch vor wenigen Jahren. Da hat sich definitiv viel getan.
Du engagierst dich in der Arbeitsgruppe Vielfalt. Welches Ziel verfolgt ihr?
Im Team Vielfalt möchten wir den diversitätsorientierten Entwicklungsprozess (DOE) bei YFU anstoßen und angehen. Das ist ein intersektionaler Ansatz und fokussiert sich nicht nur auf ein Thema oder eine marginalisierte Gruppe. Grundsätzlich ist das Ziel, dass YFU ein Verein wird, der für alle offen ist und aktiv Hürden abbaut. Als Steuerungsgruppe stoßen wir den DOE an, können ihn aber selbstverständlich nicht allein tragen. Innerhalb des Prozesses werden Stück für Stück alle engagierten Personen dazu eingeladen, sich angeleitet mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Was machst du in deiner Freizeit, wenn du mal nicht für YFU im Einsatz bist?
Ich gehe sehr gerne Kaffee trinken und bouldern (nicht simultan), bin draußen in der Natur oder werde kreativ. Mittlerweile lese ich auch wieder gerne und versuche endlich auch mal München (und seine Cafés) besser kennenzulernen.
Zum Schluss: Was macht dich so richtig zufrieden und/oder glücklich?
Ich freue mich in letzter Zeit vor allem über die „kleinen Dinge“: frische Blumen zuhause, Kaffee, Sonnenschein und Zeit für ein Buch. So richtig zufrieden bin ich durch das Gefühl, dass meine Arbeit eine Sinnhaftigkeit hat und irgendwie etwas Gutes tut.
Danke für das Interview, Finn!
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