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Gastbruder mit Austauschschüler aus Japan

Flexibel im Kopf und im Herzen

Familie Thomas, Gastfamilie von Yuga aus Japan

Meine Tochter wollte im Sommer 2022 mit YFU für ein Austauschjahr nach Uruguay gehen und wir haben erlebt, dass es nicht immer leicht ist, eine Gastfamilie zu finden. Als sie dann kurz vor Abflug eine Gastfamilie hatte, habe ich mich spontan entschieden, selbst für einen Austauschschüler hier in Deutschland Gastfamilie zu werden.

 

Wir haben Yuga aus Japan aufgenommen, da meine erweiterte Familie japan-affin ist. Ich hatte bis dahin keine Berührungspunkte mit Japan. Aber gerade das fand ich reizvoll, eine fernöstliche Kultur in unser Familienleben zu integrieren.

 

Trotz Herausforderungen: eine sehr schöne Zeit  

 

Vorab hatte ich Sorgen, ob wir es schaffen, einen Austauschschüler für ein Jahr aufzunehmen – ich bin alleinerziehend, arbeite und studiere und ich habe mich gefragt, ob das für einen Austauschschüler passend ist. Natürlich habe ich auch gehofft, dass die Chemie zwischen uns stimmen wird und dass sich mein Sohn und Yuga verstehen werden. Yuga hat in Japan zwar auch einen kleinen Bruder, so dass er die Familienkonstellation schon kannte, aber man weiß ja nie ...  

Als die Kennenlernzeit mit Yuga vorüber war und der Alltag begann, war es dann tatsächlich so, dass es Konflikte zwischen meinem Sohn und Yuga gab – der eine hat provoziert, der andere ist darauf eingestiegen. Die Situation zwischen den beiden war für eine gewisse Zeit angespannt. 

Insbesondere haben dann der Kontakt zu unserer Betreuerin von YFU, unsere gemeinsamen Abendessen (jeder musste mal kochen) und viele Gespräche dazu beigetragen, die Situation wieder zu entspannen. Yuga sprach zwar zu Beginn sehr wenig Deutsch, dafür aber ganz gut Englisch. Das war hilfreich.


Yuga ist ein großer Fußballfan und konnte sich in einem Fußballverein anmelden, wo er regelmäßig Fußball trainierte und am Wochenende Spiele hatte. Auch das hat ihm bei der Eingewöhnung in Deutschland sehr geholfen.


Eine echte Bereicherung: japanisches Essen und gemeinsame Reisen 

 

Es hat mir viel Freude bereitet, Yugas Entwicklung generell und im Deutschen zu sehen. Vor allem konnte ich Parallelen zu den Erfahrungen meiner Tochter in ihrer Gastfamilie in Uruguay ziehen. Wir haben jeden Abend zwei Seiten auf Deutsch gelesen. Die Geschichte war zwar schrecklich langweilig, aber Yuga war mit Eifer dabei, und für die Aussprache und seinen Wortschatz waren diese abendlichen Lesestunden eine Bereicherung. Bei Familientreffen konnten mein Bruder und Yuga miteinander Japanisch sprechen – dass war natürlich für beide toll. 

Wir sind ohnehin schon eine interkulturelle Familie: Meine Mutter kommt aus Haiti, mein Vater ist deutsch und Yuga hat noch mehr kulturellen Reichtum in unsere Familie gebracht. Für Yuga war es spannend zu beobachten, dass die Deutschen eher geradeaus in ihrem Umgang sind und für japanische Verhältnisse dann eher unhöflich wirken.


Wir haben zusammen mit Yuga Reisen nach Venedig, Berlin, Frankreich und Malaga gemacht und haben uns Sachen angeschaut, die wir uns sonst nicht angeschaut hätten, zum Beispiel Schloss Neuschwanstein an Yugas Geburtstag – das war ein Highlight für Yuga und sein großer Wunsch.

 

Der Abschied: schwerer als gedacht  

 

Irgendwann wurde es zur Normalität, dass Yuga bei uns war, und wir hatten keine Berührungsängste mehr. Er war ganz klar ein Familienmitglied für uns alle. Yuga und mein Sohn waren auf einer Geschwisterebene, sie hatten keine Angst miteinander umzugehen, sie kannten einander mit Schwächen und Stärken und sie mussten sich nicht verstellen.  

Der Abschied am Bahnhof fiel mir schwerer als gedacht. Als Yuga ging, war ich berührt und traurig. Wir haben heute noch Kontakt. An meinem Geburtstag war er sogar der erste, der mir über Whatsapp geschrieben hat. "Lass dich feiern!" hat er geschrieben. Diese Formulierung bringt mich immer noch zum Lachen.


Gastfamilie werden: eine große Chance!  

 

Wenn man ein Zimmer frei hat, dann empfinde ich es als große Chance, Gastfamilie zu werden. Der oder die Austauschschüler*in bringt so viel mit. Eventuell wird es Probleme geben und man ist auch mal überfordert, aber auch aus den schwierigen Zeiten kann man so viel lernen. Man lernt sich selbst tatsächlich auch etwas besser kennen.


Als Gastfamilie sollte man flexibel sein: im Tagesablauf, im Kopf und im Herzen. Dann kann das Jahr eine richtig schöne Erfahrung werden. 

 

Die beiden Gastbrüder auf dem Markusplatz in Venedig

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Gemeinsame Zugfahrt im ICE

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