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Austauschschülerin in den USA bei einem Footballspiel

„If you don't like the weather in Tennessee, wait ten minutes.“

Erfahrungsbericht von Lilian, Austauschjahr in den USA

Auf ins Abenteuer

Seit ein paar Jahren schon hatte ich ein Austauschjahr in die USA machen wollen – als meine Familie und ich dann aber auf dem Weg zum Flughafen waren, war ich mir aber auf einmal nicht mehr so sicher. Elf Monate schienen doch schon ganz schön lang! Die gleichzeitige Traurigkeit, mein altes Leben zu verlassen, und die Aufregung, mein neues Leben kennenzulernen, kann wohl nur ein Austauschschüler verstehen. Sobald ich aber durch die Sicherheitskontrolle gegangen war, konnte ich meine Tränen trocknen und mich auf das Abenteuer, das vor mir lag, konzentrieren!

 

Erster Eindruck

Der Flug ging viel schneller vorbei, als ich gedacht hätte, und auf einmal stand auch schon meine Gastfamilie vor mir. Das erste, was wir auf dem Weg zu meinem neuen Zuhause machten, war zu Chick-fil-A (ähnlich wie McDonanlds, nur besser) zu fahren. Nach allem, was ich in Deutschland schon über die USA gehört hatte, konnte ich darüber natürlich nur schmunzeln. Das erste, was ich den USA gegessen hatte, war ein Burger! Unser Haus und Nachbarschaft sahen genauso aus wie in den Filmen. Alle Familien hatten zwei bis drei Autos, es gab kaum Bürgersteige (wenn es welche gab, dann endeten sie meist ohne Vorwahnung in der Mitte der Straße) und fast alle Häuser hatten eine kleine Veranda. Selbst die Einrichtung in unserem Haus sah amerikanisch aus! Meine Familie hatte schon fünf andere Austauschschüler vor mir gehabt, trotzdem hab ich mich als etwas besonderes gefühlt, als ich all die „Welcome Home Lili!“-Dekoration in unserem Haus und meinem neuen Zimmer gesehen habe. Insgesamt stellten sich meine Gasteltern und meine Gastschwester als eine superliebe, entspannte und witzige Familie heraus – mir wurde gleich bewusst, dass ich es nicht besser hätte treffen können.

 

Aller Anfang ist schwer – aber es lohnt sich

Meine ersten Schulwochen waren dann etwas enttäuschend, mit über 2000 Schülern war ich an einer sehr großen Schule gelandet und da ich sieben verschiedene Klassen täglich hatte, stellte es sich als recht schwer für mich heraus, Freunde zu finden. Zum Glück entschied ich mich, Cross Country zu machen (eine Sportart, in der man hauptsächlich das Laufen trainiert und an den Wochenenden Wettkämpfe hat, in denen man 5 km-Läufe laufen muss). Rückblickend bin ich sehr froh, dass ich nicht nach dem ersten Training aufgehört habe, so wie ich es fast gemacht hätte. Bei über 30°C in der prallen Sonne zu laufen, war viel härter, als ich es erwartet hatte. Schnell hatte ich mich aber an das tägliche Training gewöhnt und viele der anderen Läufer aus meinem Team sind zu meinen besten Freunden geworden. Ich habe es sogar geschafft „Varsity“ zu laufen, welches die sieben schnellsten Läufer des Teams sind, worauf ich sehr stolz war.

 

Die kleinen Sachen machen es aus

Die Zeit verging wie im Flug: Ich ging zu meinem ersten Football-Spiel, wo ich den richtigen amerikanischen School-Spirit mitbekam, ging shoppen in einer der riesigen Malls, und während der Herbstferien ging es mit meiner Familie nach Florida, an den Strand des Golfs von Mexico. Neben den „typisch amerikanischen Erlebnissen“ machte ich auch jede Menge persönliche Erfahrungen, die mein Austauschjahr wohl zu einem der besten Jahre meines Lebens machen. Es sind nicht die großen Reisen, die mein Austauschjahr unglaublich machen, sondern all die kleinen Sachen wie die Insider-Witze mit meiner Familie, die Spitznamen, die meine Freunde mir geben, der wöchentliche Gang zum Supermarkt mit meiner Mom, die Überraschungsparty, die meine Freunde an meinem Geburtstag organisiert haben, dass meine beste Freundin mit mir deutsche Käsespätzle gemacht hat, die Art auf die kein Amerikaner meinen Nachnamen aussprechen kann und die Mädchengespräche mit meiner Schwester Ashley über die neuesten Gerüchte.

 

Kirche in den USA

Auch die Kirche ist hier ganz anders als in Deutschland. Obwohl ich getauft und konfirmiert bin, hat Kirche nie eine große Rolle in meinem Leben in Deutschland gespielt. Den Gottesdienst haben wir meist nur an Weihnachten besucht. Hier hat sich das schlagartig geändert: Zweimal wöchentlich geht es zur Kirche! Ich weiß noch, wie meine Familie mir das damals in einer E-Mail schrieb, als ich noch in Deutschland war und ich mir schon dachte: „Oh je, na das wird ja spaßig...“ Tja und jetzt, nach fast zehn Monaten, vermisse ich es richtig, wenn ich es mal nicht zur Kirche schaffe. Anders als in Deutschland gehen hier total viele junge Leute zur Kirche und es macht richtig Spaß, zusammen mit unser Jugendgruppe Ausflüge zu machen, am Lagerfeuer zu singen oder einfach nur zum Gottesdienst zu gehen. Besonders das Singen macht mir Spaß, denn die Songs sind modern und werden von einer Band begleitet.

 

Mein zweites Zuhause

Nachdem die Cross Country Saison vorbei war, habe ich Track & Field angefangen, was der deutschen Sportart Leichtathletik entspricht. Mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass ich eine zweite Heimat gefunden habe, als meine Freunde aus dem Football-Team anfingen, mich beim Training anzufeuern und meine Freunde mir mehrfach anboten, dass ich – wenn es irgendwie möglich wäre – noch ein weiteres Jahr bleiben und bei ihnen einziehen könnte. Vor einem Jahr hätte ich nie geglaubt, dass diese kleine Stadt in Tennessee so viele tolle Erfahrungen, eine zweite Familie und unglaubliche Freunde bereithielt! Manchmal werde ich gefragt, ob ich nicht enttäuscht war, als ich gehört habe wo ich hinkommen werde, aber ganz ehrlich: wenn ich mir heute aussuchen könnte, ob ich nach New York, Los Angeles, San Francisco oder meine kleine Stadt in Tennessee kommen könnte – ich würde mich ohne Zögern für diese Stadt entscheiden!

 

Weihnachtstage bei 30°C

In den Winterferien ging es wieder nach Florida, dieses Mal aber als Familienbesuch, da meine Gasteltern ursprünglich aus Florida kommen und der Rest der Familie noch dort lebt. So kam es dann also, dass ich über die Weihnachtstage in Shorts und T-Shirt nach Alligatoren Ausschau gehalten habe, anstatt unter einer warmen Decke am Kamin zu sitzen. Die ganze Familie hat mich mit offenen Armen empfangen und ich wurde wie ein weiteres Enkelkind behandelt – in meiner Familie kann man gar nicht anders als sich wohl zu fühlen.

 

Kein Abschied für immer

In weniger als zwei Monaten geht es für mich jetzt schon wieder nach Hause und ich musste feststellen, dass elf Monate viel kürzer sind als ich gedacht hätte. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich mich gar nicht verändert habe, aber dann erwische ich mich dabei, wie ich mir den ganzen Tag Lieder aus der Kirche anhöre und den Kassier bei Target „Hey, how are you today?“ frage.
Vor kurzem meinte mein Dad, als es draußen geregnet hatte, er hätte jetzt gerne mal ein bisschen Sonne und ich habe gesagt: „If you don't like the weather in Tennessee, wait ten minutes.“ Wir mussten alle lachen, denn wenn man als Austauschschüler anfängt, seinen Eltern Sprichwörter aus ihrem eigenen Land zu zitieren, dann ist man wohl wirklich angekommen. Fest steht: Selbst wenn ich bald wieder zurück nach Deutschland gehe, ich habe Erlebnisse und Freunde fürs Leben gefunden und ich werde immer wieder hierher zurückkommen, denn wer möchte seine Heimat schon für immer verlassen?

Lilian mit ihrer Gastfamilie

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Lilian mit ihrer Gastschwester beim Halloween-Kürbis-Schnitzen

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Der Schlitten von Santa darf an Weihnachten nicht fehlen

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Vor dem Prom

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Gemeinsam mit anderen Austauschschülern

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