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Austauschschülerin vor Landschaft Ecuador

Vielfalt pur

Erfahrungsbericht von Vanessa, Austauschjahr in Ecuador

If you never try, you will never know. Life is too short. So fuck the doubts and go! Wenn du es nie versuchst, wirst du nie wissen, wie es ist. Ich finde mit ihrem Song „Doubts“ hat die Band „The Carriers“ den Nagel auf den Kopf getroffen! Wenn ich an diesem Schüleraustausch nicht teilgenommen hätte, wäre ich wahrscheinlich nie nach Ecuador gekommen. Viel zu weit weg und warum überhaupt, wenn man die Sprache doch sowieso nicht spricht?!

 

Wir landen. 14 Stunden Flug mit Zwischenstopp in Miami sind geschafft. Wir auch! Die Schmetterlinge fliegen in meinem Bauch umher, als wäre ich frisch verliebt und das bin ich auch! Liebe auf den ersten Blick. Ich grinse vor mich hin und breche gleichzeitig in Tränen aus. Ich bin da! Endlich ist mein Traum wahr geworden, ich kann es nicht fassen. Sprachlos starre ich aus dem Fenster und betrachte die vorüberziehende Landschaft mit klopfendem Herzen, während ich mich mit 4 weiteren YFU-Austauschschülern auf der Fahrt in unsere Stadt in der Sierra (Andenhochland) befinde. Es scheint so unwirklich.

 

Erstes Treffen mit der Gastfamilie, erster Schultag

Das erste Treffen mit der Gastfamilie steht an. Ich bin so aufgeregt. Spanischkenntnisse? Nicht vorhanden. Ich schwitze, die Schmetterlinge werden immer mehr. „Was, wenn sie mich nicht mögen? Was wenn ich mich nicht eingewöhnen kann?“, denke ich ängstlich. Zu dieser Zeit hatte ich noch keine Ahnung, dass ich mich einmal in einer fremden Umgebung so wohlfühlen würde. Kindergeburtstage, Weihnachtsfeiern, unzählige Reisen und jede Menge Spaß und Essen haben mich in dieser Zeit geprägt.

Der erste Schultag steht bevor. Uniform, unlackierte Fingernägel, Nationalhymne, Tag der Flagge, alles Neuland. Am Anfang nervt mich die Schulkleidung noch, aber nach einiger Zeit lerne ich sie wirklich schätzen. Es ist so viel einfacher und zeitsparender. Nach einigen Monaten kann ich montagmorgens sogar schon die Hymne mitsingen. Es fühlt sich toll an, angekommen zu sein. Meine Mitschüler sind nett und hilfsbereit. Sie stehen bei Fragen immer bereit und erklären mir mit Freude neue Wörter. So macht das Spanisch lernen Spaß!

 

Feiertage in Ecuador

Ecuador ist solch ein vielfältiges Land. So klein und es gibt doch so viel zu sehen. Im Herbst darf ich die Umgebung rund um meine Stadt etwas besser kennenlernen. Hohe Berge und große Seen prägen die Landschaft. Cuicocha, Fuya Fuya, Quilotoa, Cotopaxi, Imbabura. Alle Vulkane, Provinzen, Berge und Seen wurden auf Kichwa, der Sprache der noch immer lebenden „Indigena“ (Indianer) benannt. Im Dezember lerne ich dann die „oriente“ den Dschungel kennen. Das Herz schlägt wieder höher und die Schmetterlinge kehren zurück. Grün, so weit das Auge reicht. Große Flüsse und Wasserfälle und hey, der Dschungel hat nicht umsonst seinen Namen „Regenwald“! Es regnet länger als den halben Tag. Ein warmer Regen. Die Luft ist dunstig und feucht. Meine Haare stehen ab. Ich sehe aus wie eine Hexe, meint mein Gastbruder charmant.

 

Nach einem wunderschönen Weihnachtsfest mit einem 12 Pfund schweren Truthahn und einer langen, durchgetanzten Silvesternacht fahren wir im Februar an den Strand. Trockene Hitze, bezaubernde Strände und jede Menge gutes Essen warten auf uns. „Ceviche de camaron“ ist der absolute Knüller. Eine kalte Suppe mit Tomaten, Gurken, Zwiebeln und Krabben. „Que rico!“. Der Pazifik ist angenehm warm und am Strand lassen sich haufenweise Muscheln sammeln. Wir bauen Sandburgen und genießen die Sonne. Am Ende des Tages merke ich, dass Lichtschutzfaktor 30 nicht unbedingt optimal war, denn ich sehe aus wie einer der „camarones“ die noch zuvor in meiner „ceviche“ schwammen. An der Küste brauchen weiße Europäer auf jeden Fall Lichtschutzfaktor 100, erklären mir später meine Freundinnen, die an der Küste wohnen, ups xD.

 

Auch an Karneval merkt man mal wieder: Diese Menschen können einfach feiern! Wir sind nicht wiederzuerkennen, nachdem wir einmal die Hauptstraße runter laufen. Mehl und Eier kleben in den Haaren, meine Freundin ist blau, ich rot im Gesicht. Es wird mit allem geschmissen, was sich finden lässt. Ach, die Wasserbomben und den Rasierschaum darf man natürlich nicht vergessen! Es ist irre komisch! Gleichzeitig steigt aber auch die Panik in mir hoch. Halbzeit. Bald geht es wieder zurück nach Deutschland…

 

Was man mitnimmt

Das hört sich jetzt alles toll an, aber es gab auch Tiefpunkte, Tage an denen ich mich schlecht und unverstanden fühlte. Überfordert und traurig. Die meiste Zeit aber nachdenklich. Ständig hatte ich neue Fragen im Kopf. Von den normalen Sprachproblemen und der Frage „Wie heißt das gleich nochmal?“ bis hin zu „Warum gibt es so viel Straßenhunde? Kann man wirklich nichts dagegen tun?“ oder „Warum ist Machismo immer noch so normal? Geht das Hinterher-Gepfeife den Frauen nicht auf die Nerven?“, „Warum ist gute Bildung so teuer und die Schlucht zwischen Arm und Reich so tief?“ Natürlich beschäftigt man sich mit den Problemen eines Landes, wenn man so lange dort ist. Alles andere wäre schon sehr blauäugig. Denn schließlich sollen wir ja Kulturentaucher sein um den Eisberg von unten betrachten zu können… Doch letztlich kann ich sagen: „Ich bereue nichts. Nicht einen Schritt, nicht einen Augenblick. Es war nichts umsonst.“ Nach welchem Ereignis Silbermond wohl diesen Song geschrieben haben? Ich bereue nichts. Ich bin froh um jeden Augenblick, jeden Moment, um die Zeit, die ich dort am anderen Ende der Welt verbringen durfte.

 

Hätte ich nie diesen Austausch gemacht, dann…

…wäre ich nie meiner Gastfamilie und meinen Freunden begegnet.

 

…hätte ich niemals herausgefunden wie viel Freude mir das Tanzen bereitet oder wüsste, wie lustig es aussieht, wenn sich die Männer zu Silvester als Frauen verkleiden und auf den Straßen „abdancen“ als gäbe es kein Morgen.

 

…wäre es ziemlich unwahrscheinlich, dass ich jemals auf einen 4.000 Meter hohen Berg gestiegen oder mal eben beim Wandern von einem Wasserfall gesprungen wäre.

 

… hätte ich niemals „Cui“ = Meerschweinchen probiert um herauszufinden, das es gar nicht so schlimm ist.

 

…hätte ich niemals gemerkt, wie weh es doch tut, auf einer Indianerhochzeit eine traditionelle Reinigung durchzuziehen, denn das Gesicht wird hier mit Rosen und Brennnesseln!!! gewaschen xD.

 

Das Land des Kondors ist zu meinem 2. Zuhause geworden. Und ich weiß, einen Teil meines Herzens habe ich für immer verloren. Er liegt am Fuße des Imbabura.

Beim Karneval wird's bunt

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Obst wächst vor Vanessas Haustür

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Ecuadors Landschaft ist so vielfältig

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